Er heisst Antonio und ist mir von Anfang an als "graue Eminenz" der großen Kirche aufgefallen, die hinter dem predigenden Pastor sitzt und weniger durch Worte als durch bloße Präsenz das Messeritual mitgestaltet.
Wenn er doch einmal predigte, hatte ich bei ihm stärker als bei allen anderen das Gefühl, dass er manipulierend vorgeht, dass hinter seinen Worten andere Motive als die Vorgegebenen stehen. Er war auch der einzige der Kirchenverteter, der mich lange Zeit ignorierte und erst in letzter Zeit begann, mich zu grüßen. Außerdem wusste ich aus verlässlicher Quelle, dass er gegen Kirchenkritiker mindestens einmal schon sehr scharf vorgegangen ist. Und er fährt einen großen Mercedes, was Anlaß für viel Polemik von außerhalb und verdeckter Kritik innerhalb der Kirche ist. Er ist sehr gelehrt, nicht nur was die Bibel betrifft - eigene Theorien zur Herkunft der Gitanos bauend, betriebt er seit vielen Jahren eine Art Eigenstudium zur Geschichte seines Volkes.
Ich hatte also einen gesunden Respekt vor ihm. Eines Abends, vor der Kirche, kam er plötzlich auf mich zu, wir kamen ins Gespräch. Trotz meines "Respekts" stellte ich diesmal in der Präsentation meiner selbst den E-Lehrer, der bis jetzt als Schutzschild gedient hatte, hintan und betonte eher den Forschungsaspekt meines Tuns, und noch bevor ich mich präventiv rechtfertigen konnte, fiel er mir ins Wort und erinnerte mich an meine "Verantwortung" die ich als Autor und Publizierender hätte, und dass mir - gleich einem Chirurgen - als Solcher keine Fehler unterlaufen dürften. Und wenn doch, dann würde ich vor meiner Zeit "sterben", und meine Kinder auch" -- ich musste erst mal schlucken. Ich erfuhr dann bald aus anderer Quelle, dass dies keine direkte Todesdrohung ist, sondern eine Drohung, die quasi über Gott läuft, der alttestamentarische Gott, der Sünden nicht nur dem Sünder vergilt, sondern auch seinen Kindern (7 Generationen).
Vor der nächsten Messe traf ich ihn wieder zufällig, und präsentierte unerschrocken meine guten Absichten: nämlich ( wie schon meinem Bibellehrer gegenüber) dass ich ihre Glaubenspraxis von innen erfahren möchte, ihre religiösen Gefühle selbst spüren möchte, so weit ich kann den Glauben also annehmen möchte. Er nahm das voll an, sein Bild von vorhin, der arrogante Forscher in kritischem Abstand, der nichts versteht, verschwand.
Wir gingen fast Hand in Hand in die Kirche.
Lüge? Theater? Doppelspiel? "Ethischer Knoten"? ... nun ja, erstens ist da dieses so weit ich kann, das mir die Hintertüre des "eben-nicht-gekonnt-habens" offenlässt, und zweitens passierte bald darauf noch etwas, eine spontane Initiation, die den "ethischen Knoten" zumindest für den Moment gelöst hat ... bald mehr dazu.
Dieser Blog soll Medium sein für die Vermittlung und Reflexion meiner Feldforschung für die Diplomarbeit in Barcelona/ESP, Thema "Protestantische Kirchen als soziokulturelles Problem in spanischen Romacommunities". So bin ich hier auf mich allein gestellt, die Fittiche von Schule, Arbeitgeber, Uni hinter mich lassend, mein erstes *eigenständiges* Projekt, mein Kind quasi, bin somit Alleinerzieher von meiner Th_er_ese, eher antiautoritär, glaube ich: Entwickeln und entwickeln lassen.
Zur Orientierung: Eintraege sind nach Datum von unten nach oben sortiert.
Legende
La Mina: Das Viertel in dem ich lebe und arbeite
CCG: Centro Cultural Gitano de La Mina - Kulturzentrum urspruenglich andalusischer Gitanos in La Mina
Culto: Evangelische Pentecost-Kirche mit hohem Gitanoanteil
CCG: Centro Cultural Gitano de La Mina - Kulturzentrum urspruenglich andalusischer Gitanos in La Mina
Culto: Evangelische Pentecost-Kirche mit hohem Gitanoanteil
Paco Moreno (alle Namen geändert): Praesident des CCG und Flamencopurist
Janko Moreno: Bruder von Paco, Barbesitzer, Flamenco-Fusionist
Kiko: Ein alter Gitano und wichtiger Gesprächspartner
Mateo: Gewährsmann im Culto, Mentor
Janko Moreno: Bruder von Paco, Barbesitzer, Flamenco-Fusionist
Kiko: Ein alter Gitano und wichtiger Gesprächspartner
Mateo: Gewährsmann im Culto, Mentor
payo/paya: Nicht-Gitano / Nicht-Gitana, emic-Begriff
quinquillero_a: Nomad_in, der/die wie ein Gitano lebt aber ethnisch keine_r ist, auch emic
mestizo_a: Jemand, der genetisch 50/50 Gitano/Payo ist
Freitag, 28. Dezember 2012
Montag, 26. November 2012
Ethik-Knoten
Er heißt J.D. (Name geändert) und wird mir schon seit zwei Wochen als Bibellehrer
empfohlen, weil er der “Experte” sei, was die Bibel betrifft. Er ist um die 35,
verheiratet, zwei Kinder. Bezeichnet sich selbst als glücklichsten Menschen der
Welt, weil er sich tief im Glauben verankert fühlt, im Glauben an seinen Weg zu
Gott hin, geleitet vom heiligen Wort, der über Zweifel erhabenen und nicht kritisierbaren Bibel.
Er weiss
zwar dass ich (neben E-Lehrer auch) Forscher bin. Was laut cultokritischen
Gitanos gefährlich im Sinne des Feldzugangs ist – aus ihrer Sicht ist es eine Sekte die
kritische Geister nicht weit vorlässt. Ich
habe mich aber als Forscher positioniert, der weiß, dass er den Glauben, um
ihn zu verstehen, zuerst fühlen muss, ja den Glauben annehmen muss soweit er kann.
Das Gespräch mit J.D. ist als “Bibelstunde” angesetzt, die sich aber von Anfang als persönliches Gespräch gestaltet. Für ihn ist das Treffen also ein Gespräch, das mich zum Glauben hinführen soll, ein Dienst an Gottes Plan, und für mich ist es ein Leitfadeninterview, in dem sich narrative Elemente zu seiner Person mit informativen Elementen zu Glauben und Kirche vermischen und ein natürliches Gespräch in gegenseitiger Sympathie ergeben. Für mich bin ich ein am Glauben interessierter Feldforscher, der aber schon weiß dass dieser Glauben für ihn persönlich nicht der Stein der Weisen ist, für ihn gibt es in mir aber noch einen fruchtbaren Boden für den Glauben, in den es sich zu investieren lohnt.
Das Gespräch mit J.D. ist als “Bibelstunde” angesetzt, die sich aber von Anfang als persönliches Gespräch gestaltet. Für ihn ist das Treffen also ein Gespräch, das mich zum Glauben hinführen soll, ein Dienst an Gottes Plan, und für mich ist es ein Leitfadeninterview, in dem sich narrative Elemente zu seiner Person mit informativen Elementen zu Glauben und Kirche vermischen und ein natürliches Gespräch in gegenseitiger Sympathie ergeben. Für mich bin ich ein am Glauben interessierter Feldforscher, der aber schon weiß dass dieser Glauben für ihn persönlich nicht der Stein der Weisen ist, für ihn gibt es in mir aber noch einen fruchtbaren Boden für den Glauben, in den es sich zu investieren lohnt.
Eine ethisch problematische Situation des Doppelspiels also, die sich aus den Notwendigkeiten, aber wohl auch Irrtümern heraus ergibt. Um den Leuten möglichst nahe zu
sein und mir Datenquellen zu erschließen, muss in meiner sozialen Rolle (Selbstperformance)
auch der Glaubensaspekt dabei sein, ich als "authentischer" Kirchenbesucher, somit
als tatsächlich teilnehmender
Beobachter, wenn auch nicht wirklich
authentisch und teilnehmend.
Es bleibt mir nur, diese soziale Rolle halbwegs flexibel zu halten und zu schauen, wie sich die Situation weiter entwickelt.
Sonntag, 28. Oktober 2012
Hallelujah!
Gestern abend - sehr interessant und fruchtbar, und mit einigen Implikationen die noch nicht wirklich absehbar sind.
Vorgeschichte: Ich besuche mittlerweile zwei Kirchen, die
Große (s. letzter Eintrag) und eine kleine Garagenkirche in der selben Straße. Hier ein kleiner Überblick über die Verschiedenheit dieser beiden am Papier "gleichen" Kirchen, so wie es sich für mich bis jetzt darstellte:
Die Große Kirche - generell Die Kleine Kirche - generell
Relativ hierarchisch Wenig hierarchisch
Stark institutionalisiert Wenig institutionalisiert
Höhere soziale Schichten, oder man tut so (Kleidung) "Arbeiterkirche", Statuspräsentation unwichtig
Soziales u. ökonom. Kapital durch polit. Verbindungen Soziales Kap. untereinander,wenig ökon. Kapital
Soziales u. ökonom. Kapital durch polit. Verbindungen Soziales Kap. untereinander,wenig ökon. Kapital
Feld teilweise schwer zugänglich (Pastoren) Feld offen
Große Messe: Kleine Messe:
Heller, großer Kirchenraum: Halle Dunkler, schummriger, kleiner Kirchenraum: Höhle
Durchstrukturiert, Ritual wird v. oben bestimmt Wenig strukturiert, Ritual wird v. allen getragen
Theologischer Inhalt, Fokus auf die Predigt (45 min) Wenig theol. Inhalt, Predigt 5-10 min
Gottesbeziehung über die Pastoren (veräußert) Persönliche Gottesbeziehung (verinnerlicht)
Aktives Gebet: ca 10 min, nach Anweisung Viele die ganze Messe über, eigeninitiativ
Publikum passiv Publikum aktiv
Trennung zwischen Pastoren und "Publikum" Grenzen verschwimmen, wenig Trennung
Viel Trennung unter den Messebesuchern Weitgehende soziale Einheit, "Familie"
Wenig Ekstase Viel Ekstase
..............usw.
Kurz, aus meinem bisherigen, geheimen Werten heraus: Große Kirche böse, kleine Kirche toll, große Kirche manipulativ bis diktatorisch, kleine Kirche demokratisch. Zu meiner Verteidigung soll aber gesagt sein dass ich in der Großen schon Messen erlebt habe, die mich verstört bis zerstört zurûckgelassen haben, und in einem Ekel und Zorn Religion und Kirche gegenüber. Stichwort "Manipulation" von seiten der Pastoren, und "Passivität" von seiten der Kirchengänger. Die Sicht verstärkt durch persönliche Wertungen, klar.
Gestern kam aber alles anders. Mit der Vorahnung, dass heute abend im Culto was wichtiges passieren wird, ging ich in die kleine Kirche. Und stieß auf Unerwartetes: Sie erlaubten mir nicht, die Messe aufzunehmen, weil der Pastor nicht da war. Ich fühlte mich von einem Co-Pastor dann beobachtet, beäugt, unangenehm. Die Messe kurz und bündig, flach. Ein mir versprochenes Video nicht verfûgbar, usw. - nichts zu holen, außer die aus dem sichtbar Werden von Grenzen resultierenden Informationen.
Dann tatsächlich zufällig (planlos) bei der großen Kirche vorbei- und in die Nach-Messe-Gesellschaft vor der Kirche hineingestolpert. Und, jeglicher Absicht, "feldforschen" und Informationen generieren zu wollen, entledigt, konnten äußerst produktive Feldforschungssituationen entstehen. Oder: Meine soziale Performance (Offenheit) veranlasste einen der bis dahin so unzugänglichen Pastoren dazu, an mich heranzutreten und mal zu schauen wer denn dieser Fremdling ist, der in der Messe schon durch bloße Anwesenheit aufgefallen ist. Aus einem fast ganz ehrlichen Position beziehen heraus ("ich will auch ein Buch über Gitanos schreiben, und VIELLEICHT nehme ich auch das Glaubensthema mitrein", "ich will euren Glauben verstehen, und auch fühlen") ergab sich ein fruchtbares, dynamisches Gespräch, aus dem ich mehr Informationen und sozialintegrativen Fortschritt bezog als aus mindestens drei Messebesuchen. Er unterrichtete mich, ich interviewte ihn, ohne es zu "müssen", ja fast ohne es zu wissen. Am Ende ein Handschlag fast wie unter Kumpels.
Die negativen Bewertungen kann ich nun wieder entschärfen (ohne obige Daten zu vergesen). Und es sieht so aus dass ich sogar als deklarierter Forscher da ein- und ausgehen kann was bisher unmöglich erschien. Denn mein "Buch" wird nun als "gottgewollt" angesehen: als ein Art Werkzeug Gottes, mich zu dieser Kirche bzw. zum wahren Glauben hingeführt zu haben. Hallelujah.
Samstag, 13. Oktober 2012
Zwei Leben
Schon wieder 7 Wochen vergangen seit meinem letzten konstruktiven Eintrag bzgl. der Forschung selbst - so sehr nimmt mich neben der Feldforschung immer mehr auch ein "Leben neben dem Forschen" hier ein: neue Bekanntschaften außerhalb der Stadt / des Feldes, Ausgleich, Frischluft, emotional-räumliche Befreiung, Befreiung aus erwähnten sozialen Abhängigkeiten im Feld, ein richtiges Haus bewohnen, Badewanne. Und Reflexion über mein temporär verlassenes Feld, andere Blicke von außen als die Meinigen.
Aber es gab/gibt noch viel mehr, das mich vom "Forschen" als solches abhält: Wohnmobil anmelden, Wohnmobil reparieren, Wohnmobil einrichten, gegen Wassereinbrüche im Wohnmobil ankämpfen. Haushalt machen, kochen, essen, Siesta. Krank im Bett liegen. Beim Klettern runterfallen und die rechte Hand für zwei Wochen schreibunfähig machen. Den Englischkurs halten, der bzgl. Datensammlung auch nicht mehr direkt zur Feldforschung zu zählen ist. Einfach mal was anderes lesen als Theorie-- Tagträumen! Didgeridoos basteln! Und nicht zuletzt Begegnungen im Feld bei denen ich meinen "Auftrag" mal ignoriere.
Aber die The_re_se lebt, ist nicht verhungert, ich habe mit relativ kleinem Aufwand und großer Effizienz das Ding so weit am laufen gehalten dass ich weiterhin ruhigen Gewissens am Wochenende ins Blaue fahren kann.
So wie schon vor Monaten, habe ich gleich beim Eintritt ins Feld einen vielversprechenden Mentor gefunden, ein Mann namens Mateo (Name geändert). Ich setzte mich in einer Messe des Culto (s. oben) zufällig neben ihn, er meinte dann dass es keine Zufälle gibt und lud mich am selben Abend noch zu sich nach Hause ein, zum Abendessen. Dieses Eingeladenwerden von Gitanos hatte monatelang nicht funktioniert, und nun so plötzlich!
Er ist ein angesehener Mann, Familienpatriarch, überzeugter Gläubiger, gleichzeitig Traditionalist (starkes Spannungsfeld weil Opposition Culto-Tradition). Jaja, da kocht und serviert noch die Frau das Essen, und nur die Frau, während sie auch noch auf Enkerln und Urenkerln aufpasst (sie sind mit 62 bereits vielfache Urgroßeltern). Trotzdem ist diese Familie innerhalb der Gitanocommunity hier zum Bildungsbürgertum zu zählen...noch ein Spannungsfeld.
Das Leben ist voller Widersprüche, besonders hier, und einige davon muss ich in meiner Analyseküche zu einem Süppchen verkochen, das zuerst mal ich selbst und dann meine KollegInnen sowie die Leute aus dem Feld für interessant-neu-rund-gesund für die Gesellschaft befinden.
Aber es gab/gibt noch viel mehr, das mich vom "Forschen" als solches abhält: Wohnmobil anmelden, Wohnmobil reparieren, Wohnmobil einrichten, gegen Wassereinbrüche im Wohnmobil ankämpfen. Haushalt machen, kochen, essen, Siesta. Krank im Bett liegen. Beim Klettern runterfallen und die rechte Hand für zwei Wochen schreibunfähig machen. Den Englischkurs halten, der bzgl. Datensammlung auch nicht mehr direkt zur Feldforschung zu zählen ist. Einfach mal was anderes lesen als Theorie-- Tagträumen! Didgeridoos basteln! Und nicht zuletzt Begegnungen im Feld bei denen ich meinen "Auftrag" mal ignoriere.
Aber die The_re_se lebt, ist nicht verhungert, ich habe mit relativ kleinem Aufwand und großer Effizienz das Ding so weit am laufen gehalten dass ich weiterhin ruhigen Gewissens am Wochenende ins Blaue fahren kann.
So wie schon vor Monaten, habe ich gleich beim Eintritt ins Feld einen vielversprechenden Mentor gefunden, ein Mann namens Mateo (Name geändert). Ich setzte mich in einer Messe des Culto (s. oben) zufällig neben ihn, er meinte dann dass es keine Zufälle gibt und lud mich am selben Abend noch zu sich nach Hause ein, zum Abendessen. Dieses Eingeladenwerden von Gitanos hatte monatelang nicht funktioniert, und nun so plötzlich!
Er ist ein angesehener Mann, Familienpatriarch, überzeugter Gläubiger, gleichzeitig Traditionalist (starkes Spannungsfeld weil Opposition Culto-Tradition). Jaja, da kocht und serviert noch die Frau das Essen, und nur die Frau, während sie auch noch auf Enkerln und Urenkerln aufpasst (sie sind mit 62 bereits vielfache Urgroßeltern). Trotzdem ist diese Familie innerhalb der Gitanocommunity hier zum Bildungsbürgertum zu zählen...noch ein Spannungsfeld.
Das Leben ist voller Widersprüche, besonders hier, und einige davon muss ich in meiner Analyseküche zu einem Süppchen verkochen, das zuerst mal ich selbst und dann meine KollegInnen sowie die Leute aus dem Feld für interessant-neu-rund-gesund für die Gesellschaft befinden.
Sonntag, 16. September 2012
Verborgene Netze
Nach der kleinen Katastrophe, dem "Reset" vom 8. September, wurde mir noch am gleichen Tag ein kleines Wunder zuteil, das ich mir zuerst nicht erklären, nicht fassen konnte, und das jetzt, nachdem es mir erklärt wurde, ein gewisses Geheimnis bewahrend, noch immer als ein heller und doch ferner Stern an meinem La Mina - Firmament steht:
Die Räuber, oder zumindest Bekannte von ihnen, haben mir alle Sachen die keinen ökonomischen Wert für sie hatten zurückerstattet (also alles bis auf die zwei Laptops.) Sie haben mir als ich gerade bei der Polizei war nochmal die Beifahrerscheibe runtergedreht, sind also quasi nochmal eingebrochen um mir meinen Rucksack mit den Sachen in mein Häuschen einzuwerfen. Seinen Augen nicht trauen, ausflippen, Tränen lachen, das alles, ja, und die leise Vermutung ob der eine oder andere Gitano von La Mina vielleicht nicht doch etwas für mich getan hat. Ich hatte Janko Moreno ja gleich nach dem Raub davon erzählt. Also zu seiner Bar, wo wie immer der nächtliche Moreno-Familienrat tagte, Janko erwartete mich schon mit einem gewissen Leuchten in den Augen, mich "ahnungslos" fragend wie es gelaufen ist. Auf meine Rück-Frage hin erklärte ER mir dann wie es gelaufen ist: Er hat "einige Freunde" von ihm mit Kontakten zur "Unterwelt" gebeten, sich umzuhören, und im Falle einer Auffindung der Täter dafür zu sorgen dass die wertlosen Gegenstände wieder zurückkommen. Was dann auch eintrat. Des weiteren hiess es, dass es 1. keine Leute von La Mina waren und 2. auch nicht klar ist ob es Gitanos oder Payos waren. Mehr Information dazu gab es nicht - und die Art und Weise wie sich Janko z.B. darüber aufgeregt hat dass die Polizei nicht gleich Fingerabdrücke nahm (sprich er will auch dass man sie fasst) lässt mich vermuten dass die Morenos tatsächlich nicht wissen wer es war, dass sie mir diese Info nicht vorenthalten.
Sprich, Herr Moreno J. hat über seine Beziehungen ein mächtiges Informationsnetzwerk zur Verfügung, das auch aktiv als ein Instrument verwendet werden kann und in soziale Bereiche und Untiefen hineinreicht die wohl außerhalb jeder Anthropologenreichweite stehen, zumindest außerhalb der Meinigen. Die Zugangsbedingung für Janko ist: Diskretion, das heisst keine grossen Fragen stellen. Und sicherlich sehr bestimmtes Auftreten, Argumentieren, Fordern.
Morgen dürfte ich wieder einen Laptop haben und dann bin ich infrastrukturell wieder halbwegs geheilt, und um eine sehr profunde Felderfahrung reicher.
Die Räuber, oder zumindest Bekannte von ihnen, haben mir alle Sachen die keinen ökonomischen Wert für sie hatten zurückerstattet (also alles bis auf die zwei Laptops.) Sie haben mir als ich gerade bei der Polizei war nochmal die Beifahrerscheibe runtergedreht, sind also quasi nochmal eingebrochen um mir meinen Rucksack mit den Sachen in mein Häuschen einzuwerfen. Seinen Augen nicht trauen, ausflippen, Tränen lachen, das alles, ja, und die leise Vermutung ob der eine oder andere Gitano von La Mina vielleicht nicht doch etwas für mich getan hat. Ich hatte Janko Moreno ja gleich nach dem Raub davon erzählt. Also zu seiner Bar, wo wie immer der nächtliche Moreno-Familienrat tagte, Janko erwartete mich schon mit einem gewissen Leuchten in den Augen, mich "ahnungslos" fragend wie es gelaufen ist. Auf meine Rück-Frage hin erklärte ER mir dann wie es gelaufen ist: Er hat "einige Freunde" von ihm mit Kontakten zur "Unterwelt" gebeten, sich umzuhören, und im Falle einer Auffindung der Täter dafür zu sorgen dass die wertlosen Gegenstände wieder zurückkommen. Was dann auch eintrat. Des weiteren hiess es, dass es 1. keine Leute von La Mina waren und 2. auch nicht klar ist ob es Gitanos oder Payos waren. Mehr Information dazu gab es nicht - und die Art und Weise wie sich Janko z.B. darüber aufgeregt hat dass die Polizei nicht gleich Fingerabdrücke nahm (sprich er will auch dass man sie fasst) lässt mich vermuten dass die Morenos tatsächlich nicht wissen wer es war, dass sie mir diese Info nicht vorenthalten.
Sprich, Herr Moreno J. hat über seine Beziehungen ein mächtiges Informationsnetzwerk zur Verfügung, das auch aktiv als ein Instrument verwendet werden kann und in soziale Bereiche und Untiefen hineinreicht die wohl außerhalb jeder Anthropologenreichweite stehen, zumindest außerhalb der Meinigen. Die Zugangsbedingung für Janko ist: Diskretion, das heisst keine grossen Fragen stellen. Und sicherlich sehr bestimmtes Auftreten, Argumentieren, Fordern.
Morgen dürfte ich wieder einen Laptop haben und dann bin ich infrastrukturell wieder halbwegs geheilt, und um eine sehr profunde Felderfahrung reicher.
Samstag, 8. September 2012
Ladrones - Cabrones
Hallo liebe Leute,
ich feiere wieder einmal fröhliche Urständ´ hier - mich drehts durch die Mangel, ich sags euch, ich geniesse wieder einmal die Wonnen der Randbereiche des Ertragbaren, das gute Adrenalin und sonstige endogene Substanzen die Körper in diesen Randbereichen gnädigerweise pflegt auszuschütten, und aus dem Affekt, und auch weil ich nach diesem Tag sehr, sehr müde bin, stelle ich jetzt einfach die Beschreibung des Tathergangs in Mundart rein, so wie ich es gerade meiner Familie geschrieben habe, vielleicht auch um hier ein wenig zu demonstrieren aus welcher Ecke ich komme, ich entschuldige mich schon mal bei allen die sich damit vielleicht schwer tun, sicherlich versteht ihr die "message":
>> Ich melde mich aus einem ganz konkreten anlass, ich wünschte er wär weniger konkret: Und i muass mi kurz halten weil i sehr müde bin:
I hob die nacht am strand verbracht, mit dem bus, heit also direkt an den strand usw, hob mi dann zu aner theatergruppn dazuagsetzt, 200 m vom abgsperrten bus, blick vom bus weg, halbe stunde bei senen, dreh mi um und siehg dass si der bus a bissl bewegt - komisch - net rollen sondern wackeln, er wackelt irgendwie, dann sieg i dass in der fahrerkabine die schaumstoffmatratzn durch die gegend fliagt, dann sieg i dass a typ danebensteht und wache steht. I lauf los wos geht, sie hupfn ins auto, fahrn los, i stell mi ihnen entgegen, er reisst den lenker herum, hot des fenster offen, i hak ein, schrei ihnen wos rein, wü intuitiv des auto festhalten oba des geht holt leider net, kann sie leider nur passieren lossn, dastehn und zuaschaun wie sie wegfahrn, meine sachen, da war i mir schon sicher dass vü föhlt, und es föhlt vü, sehr richtig: beide laptops, handy und verdammt nochmal der rucksack mit dem gödtaschl, alle karten wieder weg, und der reisepass. Die sonnenbrün von eich.
Es is echt hoat, i hob heit no nix gscheits gessen, mir tuat olles weh, aber im kopf bin i wenigstens kloa, sehr "aufgwocht", jetzt.
Des aanzige wos mi wirklich anzipft is dass i jetzt wieder olles organisiern muass, aber des kann i so veroarbeitn dass is als oarbeit seh - is holt jetzt mei oarbeit, hauptsächlich.
Aber wos mi wirklich anzipft is dass i si net derwischt hob, körperlich, i hätt sie gern irgendwie - dawischt. Wenigstens a gscheite watschn im vorbeifahrn für sie.
Die Theatergruppn hot sie auf video, sie ham a die nummertafel lesen können aber die typen ham zwei nummern überpickt. Die polizei kann nix für mi tuan ausser verlustanzeige, und die gitanos a net. Des video wird glaub i a nix höfn, die san über olle berge.
Und falls eich sorgen mochts dass es do zu gfährlich is und so: Des woar NET in meim viertel, ok? Es war in der nähe, am strand, und des hot mitm viertel nix zum tuan. Weils in der nähe is kann ma a davon ausgehn dass es kane leit ausm viertel woarn, die die raubern raubern woanders, logischerweis, weiter weg .
>>>
Gut, so schauts aus, mir sind praktisch alle Mittel zum Arbeiten genommen, auch das Aufnahmegerät, mein Hand-Feldtagebuch, alles.Was bleibt ist die digitale Sicherungskopie des Feldtagebuchs ( einige Tage sind verloren ) und die Literatur. Daran waren sie nicht so interessiert scheint es hahaha.
Was bleibt, ist das "Da-Sein", der Vorfall is ja durchaus sehr klärend, hab jetzt das Gefühl, sehr "klar" auf meine Aufgabe zugehen zu können, und jetzt auch ohne Angst in die Messen gehen zu können, die ich bis jetzt zum Teil regelrecht als "schwarze Messen" erlebt habe und mir Sorge um meine psychische Gesundheit bereitet haben, aber jetzt kann mich ganz einfach nichts mehr schrecken - das Erlebnis, die Erfahrung, mich den Ungustln frontal entgegenzustellen, ganz fest, ist für mich neu und gibt mir viel Kraft. Das Kämpfen selbst ist nicht schlimm, es hat ein ungeheuer schönes Moment, vorausgesetzt man kämpft wirklich, das Schlimme ist dagegen das nichts-tun-können... und das wars am Ende, als sie wegfuhren. Das ist es, im Nachhinein gesehen, das Schlimme ist dass ich nicht 10 Sekunden früher hinkam um sie wirklich zu stellen.
Und das Schlimme ist schon auch dass ich jetzt erst mal ohne Computer dastehe, aber da werde ich mir schon was organisieren.
Gut, und morgen fahr ich in Urlaub, directamente, ein, zwei, Tage, das Konsulat und die Bank und die Behörden und wie sie alle heissen müssen warten.
Freitag, 7. September 2012
ES GIBT JETZT EINEN GASTACCOUNT
mir war bis jetzt nicht klar dass man ein google-Konto braucht um einen Kommentar posten zu können, ok also hier ein Gast-Konto, dh. ihr könnt auch anonym posten:
gastname: bronislawamalinowski (ein markiger Name, gut zu merken aber achtung: gegendert!!!)
passwort: zeltimfeld
Ich mein, ihr müsst nicht, aber ich freu mich natürlich immer über Beiträge...
gastname: bronislawamalinowski (ein markiger Name, gut zu merken aber achtung: gegendert!!!)
passwort: zeltimfeld
Ich mein, ihr müsst nicht, aber ich freu mich natürlich immer über Beiträge...
Dienstag, 21. August 2012
Ende der Freischwimmerzeit / der Auftrag
Die liebe kleine Therese hat inzwischen einige Transformationen
durchgemacht, die man als Wachstumsschübe, aber auch als Resets
sehen könnte: Sie schwamm von einer diffusen Fragestellung zur
nächsten, hier nochmal in Schlagworten:
Entwicklungszusammenarbeit mit Gitanos (von La Mina) - Integration aus der Sicht der Gitanos - Überlebensstragien der Gitanos und was bedeutet das für die Integration, Fokus bildungsferne Sozialfelder.
Es ist nun vorbei mit der Freischwimmer-Zeit, jetzt heisst es Verantwortung für konkrete Forschung übernehmen, sich dem Risiko von Sackgassen und Scheitern aussetzen, mehr Tagesstruktur, konsequentes Lesen von jetzt klar fokussierter Literatur, konsequentes Reflektieren der Problematik der potentiellen “Parteinahme” für meine Auftraggeber. Und fragen: Wie verlaufen die kulturellen Bruchlinien und Risse zwischen der Culto-Bewegung, Gitano-Kultur und aufgeklärten Betroffenen? Welche sozialen Konflikte, aber auch persönliche, interne Konflikte macht der Culto auf? Wie funktioniert der Culto als Träger und Quelle neuer Identitäten und wie werden diese den vorhandenen Identitäten übergestülpt?
...Änderungen in den Fragestellungen vorbehalten, ich stehe noch am Anfang dieses neuen “Felds im Feld” und habe noch nicht das Gefühl, mit meinen Fragen wirklich “am Punkt” zu sein.
Entwicklungszusammenarbeit mit Gitanos (von La Mina) - Integration aus der Sicht der Gitanos - Überlebensstragien der Gitanos und was bedeutet das für die Integration, Fokus bildungsferne Sozialfelder.
Sprich weiter offen
forschen, quasi offen Literatur lesen, wachsendes Unbehagen und
Fragenbasteln. Daneben tauchen Fragen auf wie: Forsche ich überhaupt?
Komme ich jemals bei einem Ausgangspunkt an?
Dann eines Abends raus, bzw. rein, ins Feld, mir nicht gewahr was das
Feld mit mir vorhat - denn es zeigt sich nochmal sehr anders als
sonst, es liegt etwas in der Luft, eine Energie in Form der Präsenz
vieler für mich wichtiger Personen, eine Energie die alle meine
Pseudo-Tageslegitimationspläne wegwischt und mich in Jankos Bar
festnagelt, wo sich Vieles konzentriert, wo sich das Feld an
diesem Abend um mich herum regelrecht versammelt und arrangiert, im
Dialog mit meinem eigenen Input. Schön, aber wieder ohne konkrete
Richtung. Nicht sehr glücklich erhebe ich mich vom Tische zum Gehen,
nicht ahnend dass jetzt was “einrasten” wird: Paco Moreno
fragt mich, wie es denn nun mit der "tésis" ausschaut, wir
hatten schon seit fast 3 Wochen nicht mehr geredet. Ich sage, das
kann ich nicht sagen weil ich keine Referenz habe.
Er darauf: du wirst da ohne klare Fragestellung aber verrückt
werden, weils zu komplex und widersprüchlich ist. Über einen
isolierten Stamm im Amazonas kann man eine hübsche Ethnographie
machen, aber die Gitanos in La Mina sind zu zerrissen, verschieden
integriert, verschiedene Bildungsniveaus, ganz viele interne
Differenzierungen und Brüche die Generalisierungen und Analyse sehr
schwierig machen. „Complicado“. Er meint also ich brauche einen
klaren Ausgangspunkt, von dem aus ich arbeiten, fragen, verstehen
kann, auf dass daraus weitere Fragen hervorgehen mögen. Spannend,
das “koloniale Setting” anthropologischer Forschung mal umgedreht
zu erfahren.
Und dann servierte er mir sogar die Fragestellung, bzw. er und Janko
baten mich darum, eine kritische Analyse des "Culto"zu machen, der evangelikalen religiösen Bewegung,
die z.Z. in ganz Spanien v.a. unter Gitanos boomt. So auch in La
Mina. Für "progressiv" orientierte, aufgeklärtere, in
der eigenen Kultur aber gut verwurzelte Gitanos wie den Moreno-Clan
stellt der Culto aber eine destruktive Sekte und das akuteste
soziale Problem überhaupt dar, fast alles was die kulturelle
Identität der Gitanos ausmacht, der Flamenco, kulturelle Werte,
diverse Verhaltenskodizes, ist im Culto verboten – weil kulturelle
Äusserungen, Moral, etc., Gott gelten müssen. Das heißt, sie
vermissen eine kritische Forschung darüber, fühlen sich
alleingelassen, unverstanden, von den "antropologos" auch
in dieser Hinsicht enttäuscht. Aber mir schenken sie das Vertrauen.
Als ehemalige Mitglieder dieser Kirche geben sie mir auch ganz
klare Hinweise, wie ich Vertrauen gewinnen und dieses neue Feld
durchdringen kann: inkognito, soweit es geht going native, Schäfchen
sein, jede Messe besuchen, geschniegelt sein, Bibel unterm Arm, usw.
Klare Anweisung, nie mit ihnen zu diskutieren, nie offen kritisch zu
sein, erst wenn ich das schaffe würden sie (die Pastoren) mir
"alles zeigen". Es ist fast wie ein
Spionage-Briefing. Ein paar Tage später gab ich die Zusage: Wenn mir
das Feld so klar zeigt und kommuniziert, wo es brennt, liegt es nahe,
dem zu folgen, v.a. aus dem Gedanken einer “sozialpolitisch
engangierten Wissenschaft” ( Fielhauer zb) heraus. Nein, Geld boten
sie mir keines an, sie bezahlen mit der Bereitschaft, mir zur
Verfügung zu stehen, als Informanten, Helfer, Reflexions-Partner, in
der Hinsicht auch einer Art psychologischen Begleitung vielleicht?
Es ist nun vorbei mit der Freischwimmer-Zeit, jetzt heisst es Verantwortung für konkrete Forschung übernehmen, sich dem Risiko von Sackgassen und Scheitern aussetzen, mehr Tagesstruktur, konsequentes Lesen von jetzt klar fokussierter Literatur, konsequentes Reflektieren der Problematik der potentiellen “Parteinahme” für meine Auftraggeber. Und fragen: Wie verlaufen die kulturellen Bruchlinien und Risse zwischen der Culto-Bewegung, Gitano-Kultur und aufgeklärten Betroffenen? Welche sozialen Konflikte, aber auch persönliche, interne Konflikte macht der Culto auf? Wie funktioniert der Culto als Träger und Quelle neuer Identitäten und wie werden diese den vorhandenen Identitäten übergestülpt?
...Änderungen in den Fragestellungen vorbehalten, ich stehe noch am Anfang dieses neuen “Felds im Feld” und habe noch nicht das Gefühl, mit meinen Fragen wirklich “am Punkt” zu sein.
Mittwoch, 25. Juli 2012
Halbnackt im Feld
Ein Vorfall vor mittlerweile zwei Tagen hat mich wunderbar auf mich selbst zurückgeworfen, auf die alte Frage der Selbstperformanz im Feld, auf die Frage, wie sich gewisse psychische Bedingungen auf die "Feldforschungsleistung" auswirken.
Ich habe meine Geldtasche verloren, mit allen Karten drin usw; stand / stehe also da ohne Geld und, große Verzweiflung: ohne Möglichkeit zur Geldbeschaffung, für mindestens eine Woche. Nach dem suchend-und-weinend-in-den-Straßen-Rumrennen, Drama, Angstattacken, realisierte ich schließlich, sowohl intellektuell (bewusstes Denken) als auch "physisch" (unterbewusstes Reset und Hochfahren von Verhaltensmodi wie "Überleben" und "Flucht nach vorne" und "Alles egal"), dass ich da jetzt rausgehen und mich völlig aufmachen muss - das heißt, kein strategisches Denken, keine Schonungs- und Wohlfühlstrategien mehr, kein Herumüberlegen und Zweifeln, keine Aktionsschablonen. Diesem ganzen Kopfballast entledigt, wach, dem Feld begegnen. Eine "Hingabe an...", ein "Fließen mit...". Mein Feld ist dazu geradezu prädestiniert, weil es geographisch sehr klar definiert und sowohl architektonisch als auch kulturell (Kommunikationshabitus) sehr offen ist.
Die folgenden 3 Stunden brachten folgende Ergebnisse, in chronologischer Reihenfolge:
a) Ein besseres Verständnis der generellen Verachtung der Einwohner für die Junkies hier, eine gewisse empirische Abdeckung des untersten sozialen Segments des Viertels - soll nicht heißen dass ich jetzt auch Einer bin, aber sie wollten mich glaube ich mitreinziehen, versprachen mir, "mir zu helfen" wegen dem Geld, manipulativ mich auf immer später vertröstend (ich blieb weil ich in meiner Verzweiflung keinen Strohhalm auslassen wollte), denunzierten mich schließlich als Polizist, das reichte dann. Ich musste dann sowieso dem Sohn von Paco Moreno nachlaufen, der gerade vorbeigegangen war und mich schief angeschaut hatte, unangenehmen Nachwirkungen dieser Episode vorbeugend: "Mir gehts grad so und so, deshalb das und das, nein ich gehör nicht dazu".
b) Ein wunderbares, sehr offenes Gespräch mit einem der trickreichsten, ausgefuchstesten Füchse des Viertels, vor dem ich bis jetzt große Scheu hatte, ein 60jähriger Gitano, Großfamilien-"Patriarco", dessen Geschichte(n) Bücher füllen könnten, es ging vor allem um Überlebensstrategien, arm und reich, ums Helfen - wir gingen dann zusammen für mich Wasser und Brot einkaufen. Er überließ mir ein paar Euro Wechselgeld, ganz natürlich und gemäß seinen Vorstellungen von gerechter Umverteilung, die halfen fürs Erste.
c) Eine hochenergetische Begegnung mit Kiko (s. Legende), da gings vor allem um Glaube, Religion, Hingabe - er und ich in einer Klarheit und Reflexion von Situation und Emotion, dass es mich wirklich "traf" und bestärkte und mich den Wert meiner Situation als "Lernsituation" klar sehen ließ.
d) Zum ersten Mal bekam ich direkte, offene Kritik am CCG zu hören, vom Neffen obigen Robin Hoods (b), ich sah einen verhärteten, vom Überlebens- und Arbeitsdruck frustrierten Menschen, seinen Neid an den Begüterten (Gitanos), die dafür auch noch Ansehen ernten - genau der Neid mit dem zB. Paco Moreno als begüterte Respektsperson zu kämpfen hat.
Ich sehe eine weitere, wichtige Bruchlinie in der so gerne von außen und innen affirmierten Einheit von Gitanos / Roma.
Und ich sehe, wie ich selbst, durchaus erfolgreich, das CCG verteidige.
Mechanismen wie diese, die über Wahrnehmung und Aktion, schließlich über die soziale Kompetenz und die Felddynamik bestimmen, lassen mich nicht los und müssen essentielles Element meiner Feldtheorie und -praxis sein. Es geht nicht anders.
Das "Sein statt Haben" bzw. dem Feld derart ausgesetzt zu sein, soll hier aber nicht zum Gral der Feldforschung erhoben werden, und zur ausschließlichen Erfolgsbedingung, sondern lediglich als ein Methodenelement dem ich subjektiv emotional besonders zugetan bin und das ich als essentiell ansehe. Soll heißen, ohne geht nicht.
Aber diesen Zustand wahrhaftig zu etablieren und zu institutionalisieren hieße, als Forscherversion des Bettelmönchs durch die Straßen zu ziehen - hier also neben der Bettelschale das Notizbuch und die Literaturkiste zu haben und sonst nichts....um dieses Extrem auch mal ausgelotet zu haben.
Dazu Rückendeckung von Goffman: "Das gelingt am besten, wenn man nackt bis auf die Knochen ist und wenn man auf so wenig Ressourcen wie nur möglich zurückgreift. [Jede Welt ist für ihre Bewohner sinnvoll und versorgt ihre Leute, ermöglicht ihnen ein Leben]. Und genau darum ist es Ihnen zu tun; das ist der Punkt, den Sie so schnell wie möglich erreichen müssen. Der Weg, auf dem man dazu kommt, ist, [das Feld] zu brauchen. Und der einzige Weg, es zu brauchen, ist, nichts Eigenes zu haben. [...] Die meisten Leute gehen aber nicht weit genug." (1)
Ich werde mein Wohnmobil samt Inventar jetzt aber nicht verschenken, bleibt meins.
Und solcherart wieder mal ganz weit weg von konservativer Methodentheorie, Konzept, Fragestellung, Struktur, soll gesagt sein dass ich dafür sehr bald, voraussichtlich im nächsten Eintrag schon, eine Lanze brechen möchte.
(1) Goffman, Erving: Über Feldforschung. In: Knoblauch, Hubert (Hg.): Kommunikative Lebenswelten. Zur Ethnographie einer geschwätzigen Gesellschaft, Konstanz 1996, S. 264f.
Ich habe meine Geldtasche verloren, mit allen Karten drin usw; stand / stehe also da ohne Geld und, große Verzweiflung: ohne Möglichkeit zur Geldbeschaffung, für mindestens eine Woche. Nach dem suchend-und-weinend-in-den-Straßen-Rumrennen, Drama, Angstattacken, realisierte ich schließlich, sowohl intellektuell (bewusstes Denken) als auch "physisch" (unterbewusstes Reset und Hochfahren von Verhaltensmodi wie "Überleben" und "Flucht nach vorne" und "Alles egal"), dass ich da jetzt rausgehen und mich völlig aufmachen muss - das heißt, kein strategisches Denken, keine Schonungs- und Wohlfühlstrategien mehr, kein Herumüberlegen und Zweifeln, keine Aktionsschablonen. Diesem ganzen Kopfballast entledigt, wach, dem Feld begegnen. Eine "Hingabe an...", ein "Fließen mit...". Mein Feld ist dazu geradezu prädestiniert, weil es geographisch sehr klar definiert und sowohl architektonisch als auch kulturell (Kommunikationshabitus) sehr offen ist.
Die folgenden 3 Stunden brachten folgende Ergebnisse, in chronologischer Reihenfolge:
a) Ein besseres Verständnis der generellen Verachtung der Einwohner für die Junkies hier, eine gewisse empirische Abdeckung des untersten sozialen Segments des Viertels - soll nicht heißen dass ich jetzt auch Einer bin, aber sie wollten mich glaube ich mitreinziehen, versprachen mir, "mir zu helfen" wegen dem Geld, manipulativ mich auf immer später vertröstend (ich blieb weil ich in meiner Verzweiflung keinen Strohhalm auslassen wollte), denunzierten mich schließlich als Polizist, das reichte dann. Ich musste dann sowieso dem Sohn von Paco Moreno nachlaufen, der gerade vorbeigegangen war und mich schief angeschaut hatte, unangenehmen Nachwirkungen dieser Episode vorbeugend: "Mir gehts grad so und so, deshalb das und das, nein ich gehör nicht dazu".
b) Ein wunderbares, sehr offenes Gespräch mit einem der trickreichsten, ausgefuchstesten Füchse des Viertels, vor dem ich bis jetzt große Scheu hatte, ein 60jähriger Gitano, Großfamilien-"Patriarco", dessen Geschichte(n) Bücher füllen könnten, es ging vor allem um Überlebensstrategien, arm und reich, ums Helfen - wir gingen dann zusammen für mich Wasser und Brot einkaufen. Er überließ mir ein paar Euro Wechselgeld, ganz natürlich und gemäß seinen Vorstellungen von gerechter Umverteilung, die halfen fürs Erste.
c) Eine hochenergetische Begegnung mit Kiko (s. Legende), da gings vor allem um Glaube, Religion, Hingabe - er und ich in einer Klarheit und Reflexion von Situation und Emotion, dass es mich wirklich "traf" und bestärkte und mich den Wert meiner Situation als "Lernsituation" klar sehen ließ.
d) Zum ersten Mal bekam ich direkte, offene Kritik am CCG zu hören, vom Neffen obigen Robin Hoods (b), ich sah einen verhärteten, vom Überlebens- und Arbeitsdruck frustrierten Menschen, seinen Neid an den Begüterten (Gitanos), die dafür auch noch Ansehen ernten - genau der Neid mit dem zB. Paco Moreno als begüterte Respektsperson zu kämpfen hat.
Ich sehe eine weitere, wichtige Bruchlinie in der so gerne von außen und innen affirmierten Einheit von Gitanos / Roma.
Und ich sehe, wie ich selbst, durchaus erfolgreich, das CCG verteidige.
Mechanismen wie diese, die über Wahrnehmung und Aktion, schließlich über die soziale Kompetenz und die Felddynamik bestimmen, lassen mich nicht los und müssen essentielles Element meiner Feldtheorie und -praxis sein. Es geht nicht anders.
Das "Sein statt Haben" bzw. dem Feld derart ausgesetzt zu sein, soll hier aber nicht zum Gral der Feldforschung erhoben werden, und zur ausschließlichen Erfolgsbedingung, sondern lediglich als ein Methodenelement dem ich subjektiv emotional besonders zugetan bin und das ich als essentiell ansehe. Soll heißen, ohne geht nicht.
Aber diesen Zustand wahrhaftig zu etablieren und zu institutionalisieren hieße, als Forscherversion des Bettelmönchs durch die Straßen zu ziehen - hier also neben der Bettelschale das Notizbuch und die Literaturkiste zu haben und sonst nichts....um dieses Extrem auch mal ausgelotet zu haben.
Dazu Rückendeckung von Goffman: "Das gelingt am besten, wenn man nackt bis auf die Knochen ist und wenn man auf so wenig Ressourcen wie nur möglich zurückgreift. [Jede Welt ist für ihre Bewohner sinnvoll und versorgt ihre Leute, ermöglicht ihnen ein Leben]. Und genau darum ist es Ihnen zu tun; das ist der Punkt, den Sie so schnell wie möglich erreichen müssen. Der Weg, auf dem man dazu kommt, ist, [das Feld] zu brauchen. Und der einzige Weg, es zu brauchen, ist, nichts Eigenes zu haben. [...] Die meisten Leute gehen aber nicht weit genug." (1)
Ich werde mein Wohnmobil samt Inventar jetzt aber nicht verschenken, bleibt meins.
Und solcherart wieder mal ganz weit weg von konservativer Methodentheorie, Konzept, Fragestellung, Struktur, soll gesagt sein dass ich dafür sehr bald, voraussichtlich im nächsten Eintrag schon, eine Lanze brechen möchte.
(1) Goffman, Erving: Über Feldforschung. In: Knoblauch, Hubert (Hg.): Kommunikative Lebenswelten. Zur Ethnographie einer geschwätzigen Gesellschaft, Konstanz 1996, S. 264f.
Mittwoch, 11. Juli 2012
Damit dieser Blog nicht zu einem Art Lese-Trockenschwimmparcour wird, nun endlich mal etwas fürs Auge. Es gibt bis jetzt nicht viel Fotomaterial weil ich da bis jetzt noch zurückhaltend war - ich muss erst diverse Projektionen meinerseits bezüglich der Sicht der Leute aufs Fotografiert-werden abbauen bzw. die Grenzen austesten - bis jetzt bin ich mit der Kamera noch eher "allgemein" und auf Abstand unterwegs. Ich werde dann nach und nach mehr reinstellen.


Zuerst zu mir: Dies ist mein Haus, Auto, Leben: der Ebro F 275, Bj. 1982, in der "Calle de las Estrellas" - Sternenstrasse.
Der Ort ist dank Autobahn und Zugstrecke direkt nebenan (man hat es nicht für Wert befunden, Lärmschutzwände zu errichten) nicht der beste Schlafplatz, ist aber ein strategisch interessanter Punkt, weil hier der Bauhof / Schule / Partystall des Kulturzentrums liegt. Und der Hühnerstall dessen Hahnenschreie mich immer nostalgisch an meine Heimat zurückdenken lassen.
Aber ich bin durchaus nomadisch, bin nicht immer hier.
Das "Allgemeine" zum Viertel:
Die gewaltigen Wohnblöcke, zwei von ca. zehn, aus der Sicht des Hauptplatzes, wenig los
Architektonische Gegensätze:
La Mina - Wohnblöcke (60er Jahre) vs. das hypermoderne "Vogelnest" des "Forum"-Komplexes rechts hinten (2004).
Und dies war ein Flamenco-Abend mit der Familie Moreno. Das ging also tatsächlich so, dass ich nichtsahnend, gerade aus meiner Siesta, also aus meinem Wohnwagen kommend sah dass der Griller angeworfen wurde, hallo sagte und sie mich einluden:

Paco Moreno und Sohn
Und links: Janko Moreno mit seiner weithin bekannten horizontalen Krawatte
(Tipp: in diesem Bildtext ist ein Fehler versteckt)
Zuerst zu mir: Dies ist mein Haus, Auto, Leben: der Ebro F 275, Bj. 1982, in der "Calle de las Estrellas" - Sternenstrasse.
Der Ort ist dank Autobahn und Zugstrecke direkt nebenan (man hat es nicht für Wert befunden, Lärmschutzwände zu errichten) nicht der beste Schlafplatz, ist aber ein strategisch interessanter Punkt, weil hier der Bauhof / Schule / Partystall des Kulturzentrums liegt. Und der Hühnerstall dessen Hahnenschreie mich immer nostalgisch an meine Heimat zurückdenken lassen.
Aber ich bin durchaus nomadisch, bin nicht immer hier.
Das "Allgemeine" zum Viertel:
Die gewaltigen Wohnblöcke, zwei von ca. zehn, aus der Sicht des Hauptplatzes, wenig los
Architektonische Gegensätze:
La Mina - Wohnblöcke (60er Jahre) vs. das hypermoderne "Vogelnest" des "Forum"-Komplexes rechts hinten (2004).
Und dies war ein Flamenco-Abend mit der Familie Moreno. Das ging also tatsächlich so, dass ich nichtsahnend, gerade aus meiner Siesta, also aus meinem Wohnwagen kommend sah dass der Griller angeworfen wurde, hallo sagte und sie mich einluden:
Paco Moreno und Sohn
Und links: Janko Moreno mit seiner weithin bekannten horizontalen Krawatte
(Tipp: in diesem Bildtext ist ein Fehler versteckt)
Donnerstag, 28. Juni 2012
Ein fast normaler Tag aus dem Feldtagebuch
Die derzeitige Flut an Aufgaben, Informationen und Wendungen im Leben von Th_er_ese bzw. meinem Leben(-sabschnitt) hier in La Mina haben mich nun schon drei Wochen lang keinen Eintrag mehr schreiben bzw. einige Versionen verwerfen lassen. Ich glaube, die beste Form um diese Zeit anschaulich darzustellen, ist eine tagebuchartige Wiedergabe eines Tages (im Sinne einer "leichten" dichten Beschreibung, es ginge noch dichter) der viele aktuelle Facetten meines Feldaufenthalts bzw. des Felds anschneidet, es war gestern, Mittwoch der 27.6. Der Tag war sehr bewegt, ich schicke also voraus dass es auch ruhigere Tage als diesen gibt. Aber nicht viele.
9:00 Aufstehen, ich brauchte viel Schlaf.
Frühstück, Tagesplanung, Bezirksverwaltung angerufen wegen Ausnahmegenehmigung für Aufenthalt (leben) in der Straße mit dem Wohnmobil *, abgelehnt weil ungesetzlich, nehme mir vor am Montag mit dem Anwalt des CCG darüber zu sprechen
10:00 Ins CCG, mit einer Gitano-Dachorganisation die am Wochendende ein Roma-Festival in der Stadt veranstaltet („Romanistan“), ein Treffen für morgen vereinbart, bei dem es darum gehen wird, wie ich mich als freiwilliger Helfer am besten einbringen kann (und am besten zu Informationen / Eindrücken zur Frage, wie Integration über dieses Festival verhandelt und kommuniziert wird, komme).
Sara (s. Legende) fragt mich dann, ob ich „Freunde unter den Drogenabhängigen“ hätte. Irgendwer erzählt herum (sie will mir nicht sagen wer), mich mit diesen Leuten gemeinsam gesehen zu haben, was natürlich eindeutig beweist, dass auch ich bereits der „droga“ (Heroin) verfallen bin. Ich habe aber noch nie mit ihnen gesprochen, war nur einige Male an ihrem Platz um ihn mir anzuschauen bzw. in der Nähe um den Inhalt meines mobilen Klos zu entleeren. So können die banalsten Alltagsangegelegenheiten den Forschungsprozess beeinflussen, viele würden sagen „stören“, ich versuche es aber als wertvolles Datum zu verwerten, auch wenn es für mich persönlich und für meine Rolle als CCG-Mitarbeiter natürlich ein Schock ist.
Es ist bereits zwölf, also zur Bar von Janko, ich habe mit ihm vereinbart dass wir gemeinsam eine Flamencoversion von „Zum Geburtstag viel Glück“ für meine Schwester aufnehmen. Ich helfe beim Tragen von Lebensmitteleinkäufen für die Bar. Die Aufnahme kommt aus verschiedenen Gründen nicht zu stande, es läuft wieder mal alles ganz anders wie geplant. Janko meint dass ich mich vor dieser Gitano-Organisation in Acht nehmen sollte, er habe dort jahrelang gearbeitet, sie seien die „Taliban“ unter den Gitanos.
Gut, ich verabschiede mich für eine Stunde, probieren wirs später nochmal, ich gehe inzwischen zurück zum CCG, um Tagebuch zu schreiben, weil mein Kopf aufgrund aufgestauter, noch nicht niedergeschriebener Erinnerungen und Informationen immer schwerer wird, höre aber wie Sara und die Sozialarbeiterin des CCG u.a. über meine Klasse reden und bringe mich ein, es geht um einen schwierigen Schüler.
15.30: Zurück zur Bar, nur Janko und seine Frau sind da. Seine Frau fragt mich, wen aus dem Viertel ich am verrücktesten halte, ich finde keine richtige Antwort, später dann sage ich: ich selbst bin es, ja genau, ich selbst, Janko nickt zustimmend: So ist es, ich auch. Gespräch über Gitanoleben früher, ihre Eltern noch Nomaden, Leben noch schwieriger gewesen (Franquismo), Zusammenhalt, Leben heute auf andere Weise schwierig oder bedroht , durch Kaptialismus /Konsumismus, etc. Aufnahme auf Abend verschoben, wenn mehr Leute in die Bar kommen.
16.30: Fantastische und dringend nötige Gulaschsuppe mit Erdäpfel, Rindfleisch und Gemüse in Mirandas Bar. Mir wird dann aber doch kurz schlecht als auch sie mich auf die Drogengeschichte anspricht, mir beteuernd dass sie mich verteidigt hätte. Auch sie will mir den Schwarzen Peter aber nicht ausliefern. Ich sehe schon das ganze Viertel mich fallenlassen, als Unberührbaren, halte mich aber weiterhin an meinem „wertvolle Daten“ – und „Distanz zum Feld einnehmen“ – Gedanken fest.
17.30: Ich sehe Kiko (s. Legende) auf der anderen Straßenseite auf einer Bank sitzen, mit einer Gans. Er ist gerade zurück aus einer anderen Stadt, wo er sie gekauft hat um sie selbst zu schlachten. Wie mittlerweile jeden Tag setze ich mich zu ihm und wir reden, diesmal hauptsächlich über die Gans und was mit ihr passieren wird, etc. Um 19 Uhr wird er ihr an dieser selbigen Bank, im öffentlichen Raum also, die Kehle durchschneiden. Ich frage ihn ob ich das dokumentieren darf, „natürlich, bitteschön“, ich verabschiede mich für eine kleine Siesta im Bus, brauche unbedingt Ruhe um zu verarbeiten und wieder aufnahmefähig zu werden.
Es dauert dann bis 8 bis es soweit ist. Das Messer ist sehr schlecht und das Ganze deshalb noch grausamer als es sein müsste.

Ich bleibe noch eine Stunde sitzen weil ich die Gesprächssituation interessant finde, direkt nach so einer Schlachtung, die erste seit 9 Jahren für ihn. Es geht um die Kurse im CCG, seine Schwiegertöchter, seinen Lebensfrust, seine „Gitano-Psychologie“, und dann auch meine, er beweist sehr gute Menschenkenntnis, sieht in mich hinein. Er gibt mir den Rat, unnötige Infos und das Schlechte das mir widerfährt und meine Sorge um meinen Ruf zu vergessen, damit ich meinen Kopf freibekomme etc, wow, beeindruckend und wunderbar, aber gleichzeitig schreit eine innere Stimme : Heimgehn Heingehn! Ruhen! Schreiben! Verarbeiten! Aber ich ignoriere sie, mit dem Ergebnis dass ich erst jetzt ruhe und schreibe, aus meinem Rythmus, es bleibt keine Zeit mehr die vier oder fünf anderen wichtigen Konversationen der letzten zwei Tage aufzuschreiben , es bleibt keine Zeit die morgige E-Klasse vorzubereiten, es bleibt keine Zeit mir besagte Gitano-Organisation anzuschaun, usw., alles auf morgen verschieben, d.h. der Wahnsinn wird morgen unvermindert weitergehen. Samstag ist dann schon die erwähnte Veranstaltung, eine Woche darauf dann hier in La Mina das Flamencofestival des CCG, dessen wichtigste Veranstaltung des Jahres. Es ist kein Ende der Intensität der Arbeit absehbar.
Das Schlimme an der Überbelastung im Forschungsprozess ist neben den körperlichen Grenzempfindungen vor allem die Tatsache, dass ich für die Erfahrungen im Feld, v.a. die Gespräche, abstumpfe, weil ich die viele Information nicht verarbeiten und filtern kann. Es ist Zeit für Rückzug, und die einzige Sache wo ich Einsparpotential sehe ist die spontane Felderfahrung und das Mich-Einlassen auf die Alltagsgespräche in der Straße, jenes „Zusätzliche“ neben meinen unbedingten sozialen, praktischen und wissenschaftlichen Verpflichtungen, jenes Zusätzliche das gleichzeitig der Kern meiner Arbeit hier ist, muss glaube ich zwischendurch und temporär weichen.
*) Ich habe mir vor drei Wochen bereits ein Wohnmobil gekauft, um der Straße näher zu sein, flexibler zu sein, usw. – zum „Forschen aus der Straßenperspektive“ werde ich später einen Eintrag schreiben.
9:00 Aufstehen, ich brauchte viel Schlaf.
Frühstück, Tagesplanung, Bezirksverwaltung angerufen wegen Ausnahmegenehmigung für Aufenthalt (leben) in der Straße mit dem Wohnmobil *, abgelehnt weil ungesetzlich, nehme mir vor am Montag mit dem Anwalt des CCG darüber zu sprechen
10:00 Ins CCG, mit einer Gitano-Dachorganisation die am Wochendende ein Roma-Festival in der Stadt veranstaltet („Romanistan“), ein Treffen für morgen vereinbart, bei dem es darum gehen wird, wie ich mich als freiwilliger Helfer am besten einbringen kann (und am besten zu Informationen / Eindrücken zur Frage, wie Integration über dieses Festival verhandelt und kommuniziert wird, komme).
Sara (s. Legende) fragt mich dann, ob ich „Freunde unter den Drogenabhängigen“ hätte. Irgendwer erzählt herum (sie will mir nicht sagen wer), mich mit diesen Leuten gemeinsam gesehen zu haben, was natürlich eindeutig beweist, dass auch ich bereits der „droga“ (Heroin) verfallen bin. Ich habe aber noch nie mit ihnen gesprochen, war nur einige Male an ihrem Platz um ihn mir anzuschauen bzw. in der Nähe um den Inhalt meines mobilen Klos zu entleeren. So können die banalsten Alltagsangegelegenheiten den Forschungsprozess beeinflussen, viele würden sagen „stören“, ich versuche es aber als wertvolles Datum zu verwerten, auch wenn es für mich persönlich und für meine Rolle als CCG-Mitarbeiter natürlich ein Schock ist.
Es ist bereits zwölf, also zur Bar von Janko, ich habe mit ihm vereinbart dass wir gemeinsam eine Flamencoversion von „Zum Geburtstag viel Glück“ für meine Schwester aufnehmen. Ich helfe beim Tragen von Lebensmitteleinkäufen für die Bar. Die Aufnahme kommt aus verschiedenen Gründen nicht zu stande, es läuft wieder mal alles ganz anders wie geplant. Janko meint dass ich mich vor dieser Gitano-Organisation in Acht nehmen sollte, er habe dort jahrelang gearbeitet, sie seien die „Taliban“ unter den Gitanos.
Gut, ich verabschiede mich für eine Stunde, probieren wirs später nochmal, ich gehe inzwischen zurück zum CCG, um Tagebuch zu schreiben, weil mein Kopf aufgrund aufgestauter, noch nicht niedergeschriebener Erinnerungen und Informationen immer schwerer wird, höre aber wie Sara und die Sozialarbeiterin des CCG u.a. über meine Klasse reden und bringe mich ein, es geht um einen schwierigen Schüler.
15.30: Zurück zur Bar, nur Janko und seine Frau sind da. Seine Frau fragt mich, wen aus dem Viertel ich am verrücktesten halte, ich finde keine richtige Antwort, später dann sage ich: ich selbst bin es, ja genau, ich selbst, Janko nickt zustimmend: So ist es, ich auch. Gespräch über Gitanoleben früher, ihre Eltern noch Nomaden, Leben noch schwieriger gewesen (Franquismo), Zusammenhalt, Leben heute auf andere Weise schwierig oder bedroht , durch Kaptialismus /Konsumismus, etc. Aufnahme auf Abend verschoben, wenn mehr Leute in die Bar kommen.
16.30: Fantastische und dringend nötige Gulaschsuppe mit Erdäpfel, Rindfleisch und Gemüse in Mirandas Bar. Mir wird dann aber doch kurz schlecht als auch sie mich auf die Drogengeschichte anspricht, mir beteuernd dass sie mich verteidigt hätte. Auch sie will mir den Schwarzen Peter aber nicht ausliefern. Ich sehe schon das ganze Viertel mich fallenlassen, als Unberührbaren, halte mich aber weiterhin an meinem „wertvolle Daten“ – und „Distanz zum Feld einnehmen“ – Gedanken fest.
17.30: Ich sehe Kiko (s. Legende) auf der anderen Straßenseite auf einer Bank sitzen, mit einer Gans. Er ist gerade zurück aus einer anderen Stadt, wo er sie gekauft hat um sie selbst zu schlachten. Wie mittlerweile jeden Tag setze ich mich zu ihm und wir reden, diesmal hauptsächlich über die Gans und was mit ihr passieren wird, etc. Um 19 Uhr wird er ihr an dieser selbigen Bank, im öffentlichen Raum also, die Kehle durchschneiden. Ich frage ihn ob ich das dokumentieren darf, „natürlich, bitteschön“, ich verabschiede mich für eine kleine Siesta im Bus, brauche unbedingt Ruhe um zu verarbeiten und wieder aufnahmefähig zu werden.
Es dauert dann bis 8 bis es soweit ist. Das Messer ist sehr schlecht und das Ganze deshalb noch grausamer als es sein müsste.

Ich bleibe noch eine Stunde sitzen weil ich die Gesprächssituation interessant finde, direkt nach so einer Schlachtung, die erste seit 9 Jahren für ihn. Es geht um die Kurse im CCG, seine Schwiegertöchter, seinen Lebensfrust, seine „Gitano-Psychologie“, und dann auch meine, er beweist sehr gute Menschenkenntnis, sieht in mich hinein. Er gibt mir den Rat, unnötige Infos und das Schlechte das mir widerfährt und meine Sorge um meinen Ruf zu vergessen, damit ich meinen Kopf freibekomme etc, wow, beeindruckend und wunderbar, aber gleichzeitig schreit eine innere Stimme : Heimgehn Heingehn! Ruhen! Schreiben! Verarbeiten! Aber ich ignoriere sie, mit dem Ergebnis dass ich erst jetzt ruhe und schreibe, aus meinem Rythmus, es bleibt keine Zeit mehr die vier oder fünf anderen wichtigen Konversationen der letzten zwei Tage aufzuschreiben , es bleibt keine Zeit die morgige E-Klasse vorzubereiten, es bleibt keine Zeit mir besagte Gitano-Organisation anzuschaun, usw., alles auf morgen verschieben, d.h. der Wahnsinn wird morgen unvermindert weitergehen. Samstag ist dann schon die erwähnte Veranstaltung, eine Woche darauf dann hier in La Mina das Flamencofestival des CCG, dessen wichtigste Veranstaltung des Jahres. Es ist kein Ende der Intensität der Arbeit absehbar.
Das Schlimme an der Überbelastung im Forschungsprozess ist neben den körperlichen Grenzempfindungen vor allem die Tatsache, dass ich für die Erfahrungen im Feld, v.a. die Gespräche, abstumpfe, weil ich die viele Information nicht verarbeiten und filtern kann. Es ist Zeit für Rückzug, und die einzige Sache wo ich Einsparpotential sehe ist die spontane Felderfahrung und das Mich-Einlassen auf die Alltagsgespräche in der Straße, jenes „Zusätzliche“ neben meinen unbedingten sozialen, praktischen und wissenschaftlichen Verpflichtungen, jenes Zusätzliche das gleichzeitig der Kern meiner Arbeit hier ist, muss glaube ich zwischendurch und temporär weichen.
*) Ich habe mir vor drei Wochen bereits ein Wohnmobil gekauft, um der Straße näher zu sein, flexibler zu sein, usw. – zum „Forschen aus der Straßenperspektive“ werde ich später einen Eintrag schreiben.
Dienstag, 12. Juni 2012
Identifikation und Wertung: Gegensteuern!
Letzte nacht ist mir wieder mal eine schuppe von den augen gefallen bzw. ein zacken aus der feldforscherkrone gefallen oder wie auch immer man das nennen mag: anhand eines beispiels ist mir klar geworden, ab wann oder wo der identifikationsgrad mit dem feld für die forschung schädlich zu werden beginnt.
Ich habe eines tages in einer bar Palomo kennengelernt, gitano in meinem alter, der sein zubrot u.a. damit verdient, kontakte zu „mädchen“ herzustellen, die nach einer gewissen annäherungsphase bereit sind, gegen geld gewisse von kirche und gitanokodex eingeforderte sexualitäts- und moralnormen zu verletzen. Er ist darüberhinaus ein beispiel einer der vielen personen hier, mit denen es fast nicht möglich ist, den hier sehr gängigen „marricon“-diskurs (bedeutet so etwas wie (emic:) „schwuler hund“) zu vermeiden. Vor allem wenn man wie ich zu jenen forscher_innen gehört, die da im sinne der “verbalen kumpanei“ (Lindner) gerne bereit sind , auch bei homophoben schweinereien wie diesen zumindest mitzuspielen, um eben – wieder: anerkennung zu gewinnen bzw. türen zu öffnen (keine ahnung wie ich das auflösen soll). Und zudem bedient Palomo gewissermaßen eines der beliebtesten romaklischees, jenes „dass sie nix oabeitn wulln“, um das jetzt mal im österreichischen dorfjargon auszudrücken, d.h. er improvisiert sich halt durch und vermeidet damit, vom aus dieser perspektive kapitalistisch-rassistischen hegemonialen system als vertreter der untersten sprosse der gesellschaft ausgebeutet zu werden oder als passiver sozialhilfeempfänger am existenzminimum dahinzuvegetieren:
Er serviert mir überlebensstrategien, auf dem silbertablett.
Gut, nachdem er mir auch eine wohnung angeboten hat, eine weitere vielleicht nicht ganz legale geschichte, hab ich mal Janko (s. legende) gefragt, was ich denn davon zu halten hätte. Janko scheint hier nämlich eine art definitionshoheit zu genießen, wer jetzt gut und wer schlecht ist. Wenn du mal nicht weiterweißt oder was brauchst, frag Janko, der kennt die guten leute, und wenn du dir bezüglich der integrität einer person mal nicht sicher bist, frag Janko. Gut, er hat mir vom umgang mit besagtem Palomo sowie von dessen wohnung natürlich wärmstens abgeraten. Ich habs ihm abgenommen und von da weg abstand genommen, nicht nur von der Wohnung, sondern von der person Palomo. Ich habe mich damit vollends mit dem leben hier identifiziert, in dem sinne dass ich hier nur „guten umgang“ haben möchte, „gut leben“ möchte, etc. , und hab mich in der hinsicht vom forscherauftrag verabschiedet: Es geht nicht darum, es gut zu haben, sondern seine augen offen zu halten und sich alles anzuschauen, was der forschungsfrage dient und was man persönlich ertragen kann. Es würde durchaus zu weit gehen, wenn ich „in toppitssackerln verpackt“ wieder heimkommen würde, weil ich zb „ethnographische erfahrungen als drogenkurier sammeln wollte“ , wie es mir ein kollege so erfrischend-illustrativ kommuniziert hat. Und der gute Palomo ist nach meiner eigenen einschätzung keiner, mit dem mir das passieren wird. Damit wäre die „bottom line“ auch schon erfüllt, und damit kann ich sagen: Statt ihn als person zu werten, was hier völlig im soziokulturellen bedeutungsnetz verfangene weil hier schon immer lebende personen tun, sollte ich ihn doch bitte zB als ein wunderschönes beispiel für überlebensstrategien sehen, wertfrei, und ihm zumindest „eine chance geben“, ihn zumindest nicht vermeiden.
Selbiges gilt für die strikte ablehnung seitens des moreno-clans dem „culto“ gegenüber, der hier boomenden und die gitanocommunity spaltende evangelikalen kirche, vor der ich jetzt auch schon angst bekomme bevor ich sie mir wirklich angesehen habe, und es gilt ebenso für die konfliktive haltung des moreno-clans der bürger_innenplattform von La Mina gegenüber, mit dessen präsidenten ich schon ein gutes interview geführt habe und eine gute basis hatte. Jetzt, nachdem mir moreno im vertrauen gewisse dinge über ihn erzählt hat, muss ich aber feststellen dass sich meine position, zumindest ihm gegenüber, auch verändert, ins „negative“, wertende – und vermeidende.
Kurz: Es ist klar, dass man von seinen gewährsleuten beeinflusst wird, das is ja der sinn der sache, aber bei den wertungen ist eben der strich zu ziehen und abstand zu nehmen. Der schutz und das heil meiner person kann oder darf ich nicht über wertkonservative haltungen, sondern in der eigentlichen kommunikationssituation herstellen: sehr wohl mit einem wie Palomo reden, aber dabei eine gewisse kontrolle behalten, da ist zB der „schmäh“ ein sehr schönes werkzeug, und sollte es sozusagen persönlich werden, versuchen mich zu behaupten, das gesicht nicht zu verlieren. Sollte das nicht funktionieren (sprachlicher nachteil und wenig erfahrung mit hiesiger kommunikationskultur), bleibt nur noch, dass es mir egal wird, was bei dieser begegnung rauskommt, solangs nicht physisch wird, und dass mir für den moment dieser mensch selbst egal wird und damit mein status bei ihm/ihr.
Klingt nach einer jener bösen anthropologenfeldforschungshandlungsanleitungen.
Ich habe eines tages in einer bar Palomo kennengelernt, gitano in meinem alter, der sein zubrot u.a. damit verdient, kontakte zu „mädchen“ herzustellen, die nach einer gewissen annäherungsphase bereit sind, gegen geld gewisse von kirche und gitanokodex eingeforderte sexualitäts- und moralnormen zu verletzen. Er ist darüberhinaus ein beispiel einer der vielen personen hier, mit denen es fast nicht möglich ist, den hier sehr gängigen „marricon“-diskurs (bedeutet so etwas wie (emic:) „schwuler hund“) zu vermeiden. Vor allem wenn man wie ich zu jenen forscher_innen gehört, die da im sinne der “verbalen kumpanei“ (Lindner) gerne bereit sind , auch bei homophoben schweinereien wie diesen zumindest mitzuspielen, um eben – wieder: anerkennung zu gewinnen bzw. türen zu öffnen (keine ahnung wie ich das auflösen soll). Und zudem bedient Palomo gewissermaßen eines der beliebtesten romaklischees, jenes „dass sie nix oabeitn wulln“, um das jetzt mal im österreichischen dorfjargon auszudrücken, d.h. er improvisiert sich halt durch und vermeidet damit, vom aus dieser perspektive kapitalistisch-rassistischen hegemonialen system als vertreter der untersten sprosse der gesellschaft ausgebeutet zu werden oder als passiver sozialhilfeempfänger am existenzminimum dahinzuvegetieren:
Er serviert mir überlebensstrategien, auf dem silbertablett.
Gut, nachdem er mir auch eine wohnung angeboten hat, eine weitere vielleicht nicht ganz legale geschichte, hab ich mal Janko (s. legende) gefragt, was ich denn davon zu halten hätte. Janko scheint hier nämlich eine art definitionshoheit zu genießen, wer jetzt gut und wer schlecht ist. Wenn du mal nicht weiterweißt oder was brauchst, frag Janko, der kennt die guten leute, und wenn du dir bezüglich der integrität einer person mal nicht sicher bist, frag Janko. Gut, er hat mir vom umgang mit besagtem Palomo sowie von dessen wohnung natürlich wärmstens abgeraten. Ich habs ihm abgenommen und von da weg abstand genommen, nicht nur von der Wohnung, sondern von der person Palomo. Ich habe mich damit vollends mit dem leben hier identifiziert, in dem sinne dass ich hier nur „guten umgang“ haben möchte, „gut leben“ möchte, etc. , und hab mich in der hinsicht vom forscherauftrag verabschiedet: Es geht nicht darum, es gut zu haben, sondern seine augen offen zu halten und sich alles anzuschauen, was der forschungsfrage dient und was man persönlich ertragen kann. Es würde durchaus zu weit gehen, wenn ich „in toppitssackerln verpackt“ wieder heimkommen würde, weil ich zb „ethnographische erfahrungen als drogenkurier sammeln wollte“ , wie es mir ein kollege so erfrischend-illustrativ kommuniziert hat. Und der gute Palomo ist nach meiner eigenen einschätzung keiner, mit dem mir das passieren wird. Damit wäre die „bottom line“ auch schon erfüllt, und damit kann ich sagen: Statt ihn als person zu werten, was hier völlig im soziokulturellen bedeutungsnetz verfangene weil hier schon immer lebende personen tun, sollte ich ihn doch bitte zB als ein wunderschönes beispiel für überlebensstrategien sehen, wertfrei, und ihm zumindest „eine chance geben“, ihn zumindest nicht vermeiden.
Selbiges gilt für die strikte ablehnung seitens des moreno-clans dem „culto“ gegenüber, der hier boomenden und die gitanocommunity spaltende evangelikalen kirche, vor der ich jetzt auch schon angst bekomme bevor ich sie mir wirklich angesehen habe, und es gilt ebenso für die konfliktive haltung des moreno-clans der bürger_innenplattform von La Mina gegenüber, mit dessen präsidenten ich schon ein gutes interview geführt habe und eine gute basis hatte. Jetzt, nachdem mir moreno im vertrauen gewisse dinge über ihn erzählt hat, muss ich aber feststellen dass sich meine position, zumindest ihm gegenüber, auch verändert, ins „negative“, wertende – und vermeidende.
Kurz: Es ist klar, dass man von seinen gewährsleuten beeinflusst wird, das is ja der sinn der sache, aber bei den wertungen ist eben der strich zu ziehen und abstand zu nehmen. Der schutz und das heil meiner person kann oder darf ich nicht über wertkonservative haltungen, sondern in der eigentlichen kommunikationssituation herstellen: sehr wohl mit einem wie Palomo reden, aber dabei eine gewisse kontrolle behalten, da ist zB der „schmäh“ ein sehr schönes werkzeug, und sollte es sozusagen persönlich werden, versuchen mich zu behaupten, das gesicht nicht zu verlieren. Sollte das nicht funktionieren (sprachlicher nachteil und wenig erfahrung mit hiesiger kommunikationskultur), bleibt nur noch, dass es mir egal wird, was bei dieser begegnung rauskommt, solangs nicht physisch wird, und dass mir für den moment dieser mensch selbst egal wird und damit mein status bei ihm/ihr.
Klingt nach einer jener bösen anthropologenfeldforschungshandlungsanleitungen.
Samstag, 26. Mai 2012
Einweihung - in Sicht
Gestern gabs wieder aus dem Blauen eine kleine einweihung: Ein spontanes gespräch mit dem präsidenten des kulturzentrums, Paco Moreno, auf der straße. Besser illustriert: Sara (s. legende) und ich machten grad den laden dicht – ich bin jetzt ja jeden tag dort, zum vorbereiten der englischstunden und für die stunden selbst, aber z.Z. auch als allgemeiner freiwilliger mitarbeiter des zentrums, bissi hausmeister und sekretaer. Moreno schneit jeden tag einmal vorbei, so ca., diesmal gings u.a. um seine immatrikulierung für philologie. Das will er studieren, weil er „hat viel zu erzählen“ und will „das mit Stil machen“, sagte er. Dann kamen wir irgendwie aufs pinkeln zu sprechen und dass wir alle im grunde tiere sind (er: „ich stamme nicht nur von affen ab, ich BIN einer), um dann wieder über den unterschied zwischen anthropolgie, ethnologie und europäischer ethnologie und meine zukunftigen pläne zu sinnieren... schließlich gings mehr in die tiefe: Er meinte dass es jetzt noch viel „vergüenza“ zwischen uns beiden gibt, also scheu bis scham, und dass wir uns besser kennenlernen müssen, die „anderen personen im anderen“, v.a. indem ich jetzt bald mal die gitano-einweihung machen werde, die grosse, die, wie er sagte, „gitano-version der indianischen friedenspfeife“: sich gemeinsam einen ansaufen, ziemlich kompetitiv, glaube ich.
Die leute von außerhalb des viertels sagen mir ausnahmslos alle auf die eine oder andere art, dass „sie“ mich am ende betrügen, berauben, fallenlassen werden, weil sie mich immer als „payo“ betrachten werden, sie sagen dass „sie“ wie die tiere sind, praktisch unfähig was zu lernen, usw. Aber im viertel selbst herrscht eher ein gleichheitsdiskurs vor, die leute wollen sich, bei allem bewusstsein „ihrer“ kultur, in erster linie als menschen sehen und ethnische unterschiede nicht so sehr betonen. Das wird m.E. auch gelebt, in den bars z.b. gibt es ein freies ein-und ausgehen von gitanos/-as und pay_as (wie gender ich das?), egal ob der besitzer nun gitano/a oder payo/a ist, und eine freie interaktion zwischen ihnen.
Und dieser Moreno-clan, „seine“ organisation und dessen mitarbeiter, scheint in der hinsicht das sahnehäubchen zu sein. Es schaut immer mehr danach aus dass es zumindest hier sehr wohl möglich ist, mehr akzeptanz bis freundschaft, vertrauen und „geheimnis“ zu erreichen als es nicht nur die rassistischen äußerungen von außen, sondern auch die ethnologen, die da schon forschten, sagen.
Denn letztere, im konkreten hab ich bis jetzt zwei, tun zwar auf offener ansatz, haben aber anscheinend doch noch einen riesenhaufen falscher vorstellungen im kopf, die ihnen soviel angst machen dass es fuer sie nicht moeglich ist ganz normal im feld zu LEBEN!
Auf einen davon (namen lass ich weg) und seine „ethnographie andalusischer gitanos in la mina“ hab ich mich bis jetzt voll verlassen, und sie hat auch bestimmt ihren wert, aber laut Moreno ist schon der titel falsch, und fokus der arbeit auf "andalusisch", weil sich die gitanos andalusischer herkunft hier nicht mehr wirklich als andalusisch sehen, herrje. Der Forscher hat zwar im zentrum mitgearbeitet, hat sich durchaus „an haxn ausgrissn“, ist aber in die arbeit GEPENDELT, weil er offensichtlich nicht im viertel leben wollte, und vor allem deshalb war seine forschung laut perona „schlecht“, weil er vieles nicht verstanden hat. Moreno WILL also sogar, dass ich sie beforsche, weil es seines erachtens wenig gute forschung ueber gitanos gibt. Vorausgesetzt ich machs „gscheit“, dh dort leben, mich mit ihnen austauschen, etc.
Er hat mich also explizit gefragt, ob ich jetzt wirklich bleibe, und wie lange, und will mich glaube ich als teil des teams vom kulturzentrum behalten.
Und deshalb hätte er mich auch gerne als schüler in dem Romanes-Kurs den er interessanterweise nur für gitanos geben möchte (tja, bei einigen besonderen kulturelementen wie sprache und flamenco wird’s im sinne ethnischer trennung dann doch ernst).
Wieder einmal stellt sich mir die frage: Wo wird das nur hinfuehren?
Ich empfinde die Feldforschung gerade als sehr spannend, was sehr erfuellend ist und hoffnung macht, gerade im kontext meiner "sozialen abhaengigkeit", es macht aber auch angst, wie zb besagte einweihung, in gewisser hinsicht. Aber das ist eine geschichte fuer spaeter.
Die leute von außerhalb des viertels sagen mir ausnahmslos alle auf die eine oder andere art, dass „sie“ mich am ende betrügen, berauben, fallenlassen werden, weil sie mich immer als „payo“ betrachten werden, sie sagen dass „sie“ wie die tiere sind, praktisch unfähig was zu lernen, usw. Aber im viertel selbst herrscht eher ein gleichheitsdiskurs vor, die leute wollen sich, bei allem bewusstsein „ihrer“ kultur, in erster linie als menschen sehen und ethnische unterschiede nicht so sehr betonen. Das wird m.E. auch gelebt, in den bars z.b. gibt es ein freies ein-und ausgehen von gitanos/-as und pay_as (wie gender ich das?), egal ob der besitzer nun gitano/a oder payo/a ist, und eine freie interaktion zwischen ihnen.
Und dieser Moreno-clan, „seine“ organisation und dessen mitarbeiter, scheint in der hinsicht das sahnehäubchen zu sein. Es schaut immer mehr danach aus dass es zumindest hier sehr wohl möglich ist, mehr akzeptanz bis freundschaft, vertrauen und „geheimnis“ zu erreichen als es nicht nur die rassistischen äußerungen von außen, sondern auch die ethnologen, die da schon forschten, sagen.
Denn letztere, im konkreten hab ich bis jetzt zwei, tun zwar auf offener ansatz, haben aber anscheinend doch noch einen riesenhaufen falscher vorstellungen im kopf, die ihnen soviel angst machen dass es fuer sie nicht moeglich ist ganz normal im feld zu LEBEN!
Auf einen davon (namen lass ich weg) und seine „ethnographie andalusischer gitanos in la mina“ hab ich mich bis jetzt voll verlassen, und sie hat auch bestimmt ihren wert, aber laut Moreno ist schon der titel falsch, und fokus der arbeit auf "andalusisch", weil sich die gitanos andalusischer herkunft hier nicht mehr wirklich als andalusisch sehen, herrje. Der Forscher hat zwar im zentrum mitgearbeitet, hat sich durchaus „an haxn ausgrissn“, ist aber in die arbeit GEPENDELT, weil er offensichtlich nicht im viertel leben wollte, und vor allem deshalb war seine forschung laut perona „schlecht“, weil er vieles nicht verstanden hat. Moreno WILL also sogar, dass ich sie beforsche, weil es seines erachtens wenig gute forschung ueber gitanos gibt. Vorausgesetzt ich machs „gscheit“, dh dort leben, mich mit ihnen austauschen, etc.
Er hat mich also explizit gefragt, ob ich jetzt wirklich bleibe, und wie lange, und will mich glaube ich als teil des teams vom kulturzentrum behalten.
Und deshalb hätte er mich auch gerne als schüler in dem Romanes-Kurs den er interessanterweise nur für gitanos geben möchte (tja, bei einigen besonderen kulturelementen wie sprache und flamenco wird’s im sinne ethnischer trennung dann doch ernst).
Wieder einmal stellt sich mir die frage: Wo wird das nur hinfuehren?
Ich empfinde die Feldforschung gerade als sehr spannend, was sehr erfuellend ist und hoffnung macht, gerade im kontext meiner "sozialen abhaengigkeit", es macht aber auch angst, wie zb besagte einweihung, in gewisser hinsicht. Aber das ist eine geschichte fuer spaeter.
Donnerstag, 24. Mai 2012
Selbsttäuschung => Enttäuschung, Bedürfnisse => Abhängigkeit, aber zum Glück gibts ja den Englischkurs
Da geh ich also ins Feld mit meinen Bekenntnissen von wissenschaftlichem Abstand auf den Lippen, und bringe dabei alle meine sozialen Bedürfnisse mit – und da das Feld fast ausschließlich mein physischer und sozialer Ort ist, werden diese Bedürfnisse fast ausschließlich auf das Feld projiziert. Nähe, Kommunikation, verstanden werden, verstehen, Freunde, Spaß mit Freunden, Hilfe von Freunden, Reibung mit Freunden, sichfallenlassenkönnen, Liebe! ...das alles, BRAUCHE ich über kurz oder lang oder vielleicht jeden Moment. Eine soziale Abhängigkeit also, aufgrund von Menschsein und mangels realer sozialer Strukturen außerhalb des Felds.
Buddha würde sagen: „Attachment“ das Leiden verursacht. (Er schlägt da fast in eine Kerbe mit der Doktrin vom wissenschaftlichen Abstand.)
Hat er schon recht, aus den Bedürfnissen heraus baue ich mir Illusionen auf, falsche Träume sozusagen: Dass das und das so wunderbar läuft, dass ich da und da so und so sein kann, dass diese Wohnung so und so toll sein wird – Zweckoptimismus würd ich sagen, weil : ich brauchs ja. Endet aber meistens in Enttäuschung und Traurigkeit. Auch wenns eigentlich gut läuft, bin ich dann oft unzufrieden bis erschüttert.
Und ich fürchte, das gilt auch für meine persönliche Freiheits- und Authentizitätsdoktrin: Ich stelle mir das Paradies „dahinter“ vor, wenn ich dann „dort“ bin, frei und authentisch bin. Und dass es dann sowas wie die „totale Erkenntnis“ gibt, für die Th_er_ese, aber auch das hat viel von einer Wunsch-Illusion … fürchte ich.
Bezüglich sozialer Abhängigkeit lässt sich darüberhinaus vermuten, dass ich ohne das Skelett meiner Englischlehrerrolle schon längst zusammengesackt wäre, nicht wissend was tun, was reden, was zurückgeben. Praktisch gesehen hätte ich nichts zu tun! Und das würd ich nicht aushalten! …Wahrscheinlich.
Der Englischkurs
Aber zum Glück gibts diesen Englischkurs eben, den ich nun tatsächlich als Voluntär-Lehrer im Rahmen des CCG (Centro Cultural Gitano) gebe. Und er läuft zur Zeit gut – „zur Zeit“, weil die ersten zwei Stunden mangels pädadogischer Qualifikationen und Schlaf sehr schwierig bis deprimierend waren, zuwenig Autorität, zuwenig Konzept, zuviel allgemeine Verunsicherung und Befremdung. Da kommts wieder: zuwenig „Nähe“, oder vielleicht im Sinne von Turner: zuwenig „communitas“, eigentlich.
In der gestrigen (dritten) Stunde dann aber der Durchbruch, sehr animiert alle, und eine Aufmerksamkeit, Lernwilligkeit und Konzentration die ihnen diverse rassistische Meinungen von außen niemals zugestehen würden.
Für mich: fast wie ein Rausch. Türl aufgegangen. Grenze überschritten. Bedürfnis erfüllt.
Bezahlt werde ich darüberhinaus mit sozialem Kapital...mit den Beziehungen die sich zu den SchülerInnen und zum CCG aufbauen, dessen Präsident höchstselbst im Kurs sitzt und den Tausch "beforscht werden gegen Englischkurs" als sehr gut erachtet.
Und zum ersten Mal gibts eine wirkliche Identifikation mit dem Vorhaben meinerseits: bis jetzt hab ich es ja eher als ein Mittel zum Zweck behandelt, aber nun, wieder mit wahnsinnig tollen Bildern a la „der Club der verlorenen Dichter“ im Kopf: Ich will ihnen wirklich Englisch beibringen! Mit Haut und Haaren, mit allem was ich hab! Eine echte Mission!!
Besser. Auch für die Th_er_ese. Ich glaube, dass sie zum Wachsen neben Professionalität, Utilitarismus und „Abstand“ auch Leidenschaft braucht. Womit wir wieder bei den Träumen wären.
Donnerstag, 10. Mai 2012
Das Sein im Feld
Wenn ich mich im Feld frei“arbeiten“ kann, und mich nicht nur verbal, sondern auch emotional-affektiv ehrlich ausdrücken kann, weil ich ein grundsätzliches Vertrauen beiderseits er“arbeitet“ habe, dann, ja dann! Ich betrachte das als Methode, eine sehr wirksame, weil sie einfach mehr sichtbar macht als passives Observations-Verhalten. Ein starker persoenlicher Ausdruck ist wie eine klare Frage, auf die klare Antworten kommen. Es wird dann klar, „obs geht oda net“, ob ja oder nein, ob und wie ich oder dieser jeweilige Ausdruck angenommen oder zurückgewiesen wird, und fertig. Genau da kommen dann erst wertvolle Daten raus, klare Reaktionen. Aber es ist halt sehr verlockend, im Zustand der Unbestimmtheit, am österreichischen (bzw. "wissenschaftlichen") Weg zu bleiben: sich ducken, damit nix passieren kann, sich in Sicherheit wiegen. Sich nicht verwundbar zu machen, preiszugeben, keine Angriffsfläche zu bieten.
Sicher, „klare Reaktionen“ heißt auch: mehr Watschen, wahrscheinlich.
Beispiel: Ich am explorieren, in einer belebten Gitano-Bar, am Nachmittag. Es herrscht eine Stimmung zwischen Partybar und Dorfbeisl, spontan entsteht ein Tanz- und Klatschkreis, Flamenco, ich stelle mich dazu, und da fordern sie mich auf, IN den Kreis zu gehen, Tanzeinlage machen. Im Sinne eines „Action Research“ und auch im Zwang, nicht Nein sagen zu dürfen (Akzeptanz bekommen) geh ich halt rein und bin sogleich verloren, irgendwo zwischen ich selbst und Gitano sein wollen, und komme mir beim „Tanzen“ in dem rauhen Umfeld irgendwie sehr „weiblich“ vor, was mir in dem Moment in dem Umfeld sehr unangenehm ist, oder auch wie ein lächerlicher Clown, wie ein sehr eigenartiger Fremdkörper, und winde mich, komm nicht raus: peinlich und unangenehm bis masochistisch. Verhaltene Reaktionen. Hätte vielleicht doch ein bisschen warten sollen, bis ich weiß was ich will oder kann in der Situation, (erst mal) Nein sagen ist manchmal vielleicht doch gescheiter.
Oder aber: es hat einfach nicht funktioniert, weil ich mich am Ende (=im Moment) eben doch nicht getraut habe, aufzumachen, mich freizumachen von den ganzen Zwängen die ich mir da „für die Wissenschaft“ auferlege – vor allem der Zwang, einen Eingang ins Feld zu finden, sprich akzeptiert zu werden.
Daher bleibe ich dabei: Wenn man riskiert, den Mund aufzumachen, seine Meinung zu sagen, seine Identität zu leben, bekommt man die Sicherheit der Klarheit und des Wissens, wenn man nix tut und sich hinter wissenschaftlich-objektivem Abstand, Ausreden oder „ich hab Angst“ versteckt, bleibt man in der Unsicherheit der Unbestimmtheit und des Unwissens. Ein Gewitter mag zwar unangenehm sein, es mag stören, verstören, zerstören, aber danach ist die Luft klarer...ohne Gewitter bleibts schwül.
Aber klar, das ist ein Idealbild, an dem ich mich orientieren moechte, Theorie halt. Schauen wir mal, wie "ideal" ich das Gewitter finde, wenn zB. mein Englischkurs, der ja auch als eine Art Kontrastmittel gedacht ist, schiefgehen sollte. Und schauen wir mal, wieviel von dieser "self-exposure" wirklich notwendig ist - denn ich lebe bald dort, und dann wird vieles einfach auch alltaeglich sein, und nach keinen Wundern verlangen. Dann wird die Herausforderung wahrscheinlich darin liegen, eben nicht mehr soviel zu wollen, Geduld zu haben und ganz gemütlich Knochenarbeit zu leisten.
Sicher, „klare Reaktionen“ heißt auch: mehr Watschen, wahrscheinlich.
Beispiel: Ich am explorieren, in einer belebten Gitano-Bar, am Nachmittag. Es herrscht eine Stimmung zwischen Partybar und Dorfbeisl, spontan entsteht ein Tanz- und Klatschkreis, Flamenco, ich stelle mich dazu, und da fordern sie mich auf, IN den Kreis zu gehen, Tanzeinlage machen. Im Sinne eines „Action Research“ und auch im Zwang, nicht Nein sagen zu dürfen (Akzeptanz bekommen) geh ich halt rein und bin sogleich verloren, irgendwo zwischen ich selbst und Gitano sein wollen, und komme mir beim „Tanzen“ in dem rauhen Umfeld irgendwie sehr „weiblich“ vor, was mir in dem Moment in dem Umfeld sehr unangenehm ist, oder auch wie ein lächerlicher Clown, wie ein sehr eigenartiger Fremdkörper, und winde mich, komm nicht raus: peinlich und unangenehm bis masochistisch. Verhaltene Reaktionen. Hätte vielleicht doch ein bisschen warten sollen, bis ich weiß was ich will oder kann in der Situation, (erst mal) Nein sagen ist manchmal vielleicht doch gescheiter.
Oder aber: es hat einfach nicht funktioniert, weil ich mich am Ende (=im Moment) eben doch nicht getraut habe, aufzumachen, mich freizumachen von den ganzen Zwängen die ich mir da „für die Wissenschaft“ auferlege – vor allem der Zwang, einen Eingang ins Feld zu finden, sprich akzeptiert zu werden.
Daher bleibe ich dabei: Wenn man riskiert, den Mund aufzumachen, seine Meinung zu sagen, seine Identität zu leben, bekommt man die Sicherheit der Klarheit und des Wissens, wenn man nix tut und sich hinter wissenschaftlich-objektivem Abstand, Ausreden oder „ich hab Angst“ versteckt, bleibt man in der Unsicherheit der Unbestimmtheit und des Unwissens. Ein Gewitter mag zwar unangenehm sein, es mag stören, verstören, zerstören, aber danach ist die Luft klarer...ohne Gewitter bleibts schwül.
Aber klar, das ist ein Idealbild, an dem ich mich orientieren moechte, Theorie halt. Schauen wir mal, wie "ideal" ich das Gewitter finde, wenn zB. mein Englischkurs, der ja auch als eine Art Kontrastmittel gedacht ist, schiefgehen sollte. Und schauen wir mal, wieviel von dieser "self-exposure" wirklich notwendig ist - denn ich lebe bald dort, und dann wird vieles einfach auch alltaeglich sein, und nach keinen Wundern verlangen. Dann wird die Herausforderung wahrscheinlich darin liegen, eben nicht mehr soviel zu wollen, Geduld zu haben und ganz gemütlich Knochenarbeit zu leisten.
Die kleine Th_er_ese entwickelt sich prächtig
Ja, und jetzt wächst es, glaube ich – die Englischklasse steht, beginnt nächste Woche, auf der Straße werde ich bereits von einer beachtlichen Zahl von Leuten beachtlich gut empfangen, es gibt viel Interaktion und viel zu Reden, ganz natürlich über Sachen die anstehen und Sachen die nicht anstehen. Auch viel Schmäh, von dem ich noch nicht viel versteh. Aber ich glaube, keiner auf meine Kosten, bis jetzt. Hoffe ich.
Leben und leben lassen: wie obsolet, wie weit weg mir da das Suchen von Interviewpartnern und Interviewleitfäden, Konzepte, Ergebniszwang erscheinen! Ich habe einfach nur eine soziale ROLLE eingenommen, die hier gut zu funktionieren scheint und den sozialen Raum im Hinblick auf mein Thema ganz gut abdeckt, und mehr brauche ich vorerst nicht - kein Konzept, keine Fragestellung, kein "reinfragen"... die EZA- und Inklusionsgeschichte kommt erst spaeter dran bzw. darf sich frei entwickeln wenn sie will. Da freut sich die Th_er_ese.
So lukriere ich spontan auf der Straße Schüler für den Kurs, bestaune die massig vorhandenen kulturellen Artefakte der Gitanos, die sie Kraft ihrer starken kulturellen Identität auch stark pflegen, in materieller als auch immatiereller Form, und fahre und frage das Viertel ab auf der Suche nach einer Mietwohnung (von der Idee, in irgendeinem hippen Viertel in Barcelona leben zu wollen, habe ich mich verabschiedet, im Feld muss ich sein, ist doch klar).
Bin gestern aus dem Hostel ausgezogen, auf die Straße – eine eher irrationale, intuitive Entscheidung, die sich als gut herausgestellt hat: Die Sekretärin des Kulturzentrums (paya) hat mich soeben zu ihrer Familie eingeladen, bis ich eine Wohnung hab, sie will nicht dass ich auf der Straße leben muss .... ich hab das NICHT so kalkuliert, ok?! Ich hab einfach nur meine Sachen im Kulturzentrum untergebracht, und mit keiner Silbe Bedürftigkeit kommuniziert. Es war eine Überraschung, eine weitere spannende Wendung im Leben meiner kleinen Th_er_ese.
Literatur ist aber schon auch ein Thema, in der Form dass der Anspruch, "endlich was zu lesen", immer da ist, aber zur Zeit eben nicht erfuellt werden kann. Wenn ich eine Wohnung habe, mich niedergelassen habe, etwas beruhige vielleicht, dann aber wirklich: Ethnographische Literatur ueber La Mina, Ethnopsychoanalyse (v.a. Erdheim und Devereux), Ethnopoesie (Leiris).
Leben und leben lassen: wie obsolet, wie weit weg mir da das Suchen von Interviewpartnern und Interviewleitfäden, Konzepte, Ergebniszwang erscheinen! Ich habe einfach nur eine soziale ROLLE eingenommen, die hier gut zu funktionieren scheint und den sozialen Raum im Hinblick auf mein Thema ganz gut abdeckt, und mehr brauche ich vorerst nicht - kein Konzept, keine Fragestellung, kein "reinfragen"... die EZA- und Inklusionsgeschichte kommt erst spaeter dran bzw. darf sich frei entwickeln wenn sie will. Da freut sich die Th_er_ese.
So lukriere ich spontan auf der Straße Schüler für den Kurs, bestaune die massig vorhandenen kulturellen Artefakte der Gitanos, die sie Kraft ihrer starken kulturellen Identität auch stark pflegen, in materieller als auch immatiereller Form, und fahre und frage das Viertel ab auf der Suche nach einer Mietwohnung (von der Idee, in irgendeinem hippen Viertel in Barcelona leben zu wollen, habe ich mich verabschiedet, im Feld muss ich sein, ist doch klar).
Bin gestern aus dem Hostel ausgezogen, auf die Straße – eine eher irrationale, intuitive Entscheidung, die sich als gut herausgestellt hat: Die Sekretärin des Kulturzentrums (paya) hat mich soeben zu ihrer Familie eingeladen, bis ich eine Wohnung hab, sie will nicht dass ich auf der Straße leben muss .... ich hab das NICHT so kalkuliert, ok?! Ich hab einfach nur meine Sachen im Kulturzentrum untergebracht, und mit keiner Silbe Bedürftigkeit kommuniziert. Es war eine Überraschung, eine weitere spannende Wendung im Leben meiner kleinen Th_er_ese.
Literatur ist aber schon auch ein Thema, in der Form dass der Anspruch, "endlich was zu lesen", immer da ist, aber zur Zeit eben nicht erfuellt werden kann. Wenn ich eine Wohnung habe, mich niedergelassen habe, etwas beruhige vielleicht, dann aber wirklich: Ethnographische Literatur ueber La Mina, Ethnopsychoanalyse (v.a. Erdheim und Devereux), Ethnopoesie (Leiris).
START: Drei Monate Geburtswehen und Geburt - sie heißt Th_er_ese
Fast drei Monate hat es hier also gebraucht, an durchaus schmerzhaften Irrwegen im Feld, bis ich einen „Eingang“ gefunden habe, einen Eingang ins soziale Feld, einen Durchgang durch das Labyrinth meiner Zweifel, die sich nicht ausmalen konnten, wie ich da denn jemals hineinfinden sollte.
Nur kurz zur Vorgeschichte: Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Gitanos, Eingang ins Feld gesucht über eine sozialwissenschaftlich ausgerichtete Institution an der Uni Barcelona mit sozialwissenschaftlich-sozialpolitischem Hintergrund (Überwindung sozialer Ungleichheit, vor allem marginalisierter Gruppen wie eben z.B. den Gitanos, mittels partizipativer lösungsorientierter Forschungsprojekte). Mein Ansatz war sehr offen: mit wenig Konzept als Praktikant „einfach mal mitarbeiten“ bei EZA-Projekten mit Gitanos, und schauen in welche Richtung sich mein Blick entwickelt, unter Mithilfe einer Tutorin aus dieser Institution. Damit war ich von anfang an auf Konfrontationskurs mit den Vorstellungen und Ansprüchen die da an mich herangetragen wurden. Ich kam in kein Projekt rein, die Tutorin vorenthielt mir wichtige Infos (Eingänge), und nach drei Monaten kam dann das Ultimatum „schick uns jetzt endlich ein richtiges Konzept oder du bist raus“. Ich warf das Handtuch, schluckte erst mal, und atmete bald erleichtert auf: endlich frei von dieser Abhängigkeit, von den imaginierten Zwängen, frei von der Warterei auf Email-Antworten, frei von ziemlich fremden Academia-Codes, endlich den Blick ganz einfach abgewandt von diesen labyrinth-artigen institutionellen Mauern, die mir keinen rechten Zugang gewaehrten.
Und hin zur „anderen Seite“, der Zielgruppe besagter Institution, den Gitanos, die am „Arsch von Barcelona“, wie dieses Viertel unter anderem genannt wird, leben, zusammen mit „payos“, also Nicht-Gitanos, marginalisiert, am Rand. 15.000 Einwohner in Plattenbauten, davon 5.000 Gitanos, hoechste Bevoelkerungsdichte, Arbeitslosigkeit, Kriminalitaet von Barcelona. Ich konnte nun endlich einfach „reingehen“, erst mal offene Interviews führen und explorativ auf der Straße und den Bars dort unterwegs sein, wurde in einer Bar gleich initiiert, musste „Chorizo“ essen (Wurst aus rohem Faschiertem), das Vegetarier-Sein ziemlich hart über Bord werfend: für die Wissenschoft!!
Aber ich hatte trotzdem keine Ahnung, wie ich es schaffen sollte, dass die Gitanos mich akzeptieren, als jemand der sie „beforscht“: Wie legitimiert man das auf lange Sicht, dass man daherkommt und sie ausfragt und sie beobachtet und über sie schreibt? Gerade bei Roma, die für eine gewisse Abneigung Forschern gegenüber bekannt sind. Der Gedanke „ich muss irgendwas zurückgeben“ führte dann zur Idee, mich als freiwilliger Englisch-Lehrer anzubieten, im Kulturzentrum der Gitanos im Viertel. Und das war DIE Idee, so ein „Geburtsmoment“, wo sich der Knoten und dieses mein latentes Schuldgefühl als „Beforscher“ endlich auflöste – ich hatte (m)eine Rolle gefunden! Zwar keine Ahnung vom Englischlehrersein, aber egal wird schon gehen, muss gehen, Hauptsache ich hab einen offiziell gut vertretbaren Sinn meines Tuns und Seins dort, einen Eingang! Einen fruchtbaren Boden, wo was wachsen kann ...
Nur kurz zur Vorgeschichte: Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Gitanos, Eingang ins Feld gesucht über eine sozialwissenschaftlich ausgerichtete Institution an der Uni Barcelona mit sozialwissenschaftlich-sozialpolitischem Hintergrund (Überwindung sozialer Ungleichheit, vor allem marginalisierter Gruppen wie eben z.B. den Gitanos, mittels partizipativer lösungsorientierter Forschungsprojekte). Mein Ansatz war sehr offen: mit wenig Konzept als Praktikant „einfach mal mitarbeiten“ bei EZA-Projekten mit Gitanos, und schauen in welche Richtung sich mein Blick entwickelt, unter Mithilfe einer Tutorin aus dieser Institution. Damit war ich von anfang an auf Konfrontationskurs mit den Vorstellungen und Ansprüchen die da an mich herangetragen wurden. Ich kam in kein Projekt rein, die Tutorin vorenthielt mir wichtige Infos (Eingänge), und nach drei Monaten kam dann das Ultimatum „schick uns jetzt endlich ein richtiges Konzept oder du bist raus“. Ich warf das Handtuch, schluckte erst mal, und atmete bald erleichtert auf: endlich frei von dieser Abhängigkeit, von den imaginierten Zwängen, frei von der Warterei auf Email-Antworten, frei von ziemlich fremden Academia-Codes, endlich den Blick ganz einfach abgewandt von diesen labyrinth-artigen institutionellen Mauern, die mir keinen rechten Zugang gewaehrten.
Und hin zur „anderen Seite“, der Zielgruppe besagter Institution, den Gitanos, die am „Arsch von Barcelona“, wie dieses Viertel unter anderem genannt wird, leben, zusammen mit „payos“, also Nicht-Gitanos, marginalisiert, am Rand. 15.000 Einwohner in Plattenbauten, davon 5.000 Gitanos, hoechste Bevoelkerungsdichte, Arbeitslosigkeit, Kriminalitaet von Barcelona. Ich konnte nun endlich einfach „reingehen“, erst mal offene Interviews führen und explorativ auf der Straße und den Bars dort unterwegs sein, wurde in einer Bar gleich initiiert, musste „Chorizo“ essen (Wurst aus rohem Faschiertem), das Vegetarier-Sein ziemlich hart über Bord werfend: für die Wissenschoft!!
Aber ich hatte trotzdem keine Ahnung, wie ich es schaffen sollte, dass die Gitanos mich akzeptieren, als jemand der sie „beforscht“: Wie legitimiert man das auf lange Sicht, dass man daherkommt und sie ausfragt und sie beobachtet und über sie schreibt? Gerade bei Roma, die für eine gewisse Abneigung Forschern gegenüber bekannt sind. Der Gedanke „ich muss irgendwas zurückgeben“ führte dann zur Idee, mich als freiwilliger Englisch-Lehrer anzubieten, im Kulturzentrum der Gitanos im Viertel. Und das war DIE Idee, so ein „Geburtsmoment“, wo sich der Knoten und dieses mein latentes Schuldgefühl als „Beforscher“ endlich auflöste – ich hatte (m)eine Rolle gefunden! Zwar keine Ahnung vom Englischlehrersein, aber egal wird schon gehen, muss gehen, Hauptsache ich hab einen offiziell gut vertretbaren Sinn meines Tuns und Seins dort, einen Eingang! Einen fruchtbaren Boden, wo was wachsen kann ...
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