Letzte nacht ist mir wieder mal eine schuppe von den augen gefallen bzw. ein zacken aus der feldforscherkrone gefallen oder wie auch immer man das nennen mag: anhand eines beispiels ist mir klar geworden, ab wann oder wo der identifikationsgrad mit dem feld für die forschung schädlich zu werden beginnt.
Ich habe eines tages in einer bar Palomo kennengelernt, gitano in meinem alter, der sein zubrot u.a. damit verdient, kontakte zu „mädchen“ herzustellen, die nach einer gewissen annäherungsphase bereit sind, gegen geld gewisse von kirche und gitanokodex eingeforderte sexualitäts- und moralnormen zu verletzen. Er ist darüberhinaus ein beispiel einer der vielen personen hier, mit denen es fast nicht möglich ist, den hier sehr gängigen „marricon“-diskurs (bedeutet so etwas wie (emic:) „schwuler hund“) zu vermeiden. Vor allem wenn man wie ich zu jenen forscher_innen gehört, die da im sinne der “verbalen kumpanei“ (Lindner) gerne bereit sind , auch bei homophoben schweinereien wie diesen zumindest mitzuspielen, um eben – wieder: anerkennung zu gewinnen bzw. türen zu öffnen (keine ahnung wie ich das auflösen soll). Und zudem bedient Palomo gewissermaßen eines der beliebtesten romaklischees, jenes „dass sie nix oabeitn wulln“, um das jetzt mal im österreichischen dorfjargon auszudrücken, d.h. er improvisiert sich halt durch und vermeidet damit, vom aus dieser perspektive kapitalistisch-rassistischen hegemonialen system als vertreter der untersten sprosse der gesellschaft ausgebeutet zu werden oder als passiver sozialhilfeempfänger am existenzminimum dahinzuvegetieren:
Er serviert mir überlebensstrategien, auf dem silbertablett.
Gut, nachdem er mir auch eine wohnung angeboten hat, eine weitere vielleicht nicht ganz legale geschichte, hab ich mal Janko (s. legende) gefragt, was ich denn davon zu halten hätte. Janko scheint hier nämlich eine art definitionshoheit zu genießen, wer jetzt gut und wer schlecht ist. Wenn du mal nicht weiterweißt oder was brauchst, frag Janko, der kennt die guten leute, und wenn du dir bezüglich der integrität einer person mal nicht sicher bist, frag Janko. Gut, er hat mir vom umgang mit besagtem Palomo sowie von dessen wohnung natürlich wärmstens abgeraten. Ich habs ihm abgenommen und von da weg abstand genommen, nicht nur von der Wohnung, sondern von der person Palomo. Ich habe mich damit vollends mit dem leben hier identifiziert, in dem sinne dass ich hier nur „guten umgang“ haben möchte, „gut leben“ möchte, etc. , und hab mich in der hinsicht vom forscherauftrag verabschiedet: Es geht nicht darum, es gut zu haben, sondern seine augen offen zu halten und sich alles anzuschauen, was der forschungsfrage dient und was man persönlich ertragen kann. Es würde durchaus zu weit gehen, wenn ich „in toppitssackerln verpackt“ wieder heimkommen würde, weil ich zb „ethnographische erfahrungen als drogenkurier sammeln wollte“ , wie es mir ein kollege so erfrischend-illustrativ kommuniziert hat. Und der gute Palomo ist nach meiner eigenen einschätzung keiner, mit dem mir das passieren wird. Damit wäre die „bottom line“ auch schon erfüllt, und damit kann ich sagen: Statt ihn als person zu werten, was hier völlig im soziokulturellen bedeutungsnetz verfangene weil hier schon immer lebende personen tun, sollte ich ihn doch bitte zB als ein wunderschönes beispiel für überlebensstrategien sehen, wertfrei, und ihm zumindest „eine chance geben“, ihn zumindest nicht vermeiden.
Selbiges gilt für die strikte ablehnung seitens des moreno-clans dem „culto“ gegenüber, der hier boomenden und die gitanocommunity spaltende evangelikalen kirche, vor der ich jetzt auch schon angst bekomme bevor ich sie mir wirklich angesehen habe, und es gilt ebenso für die konfliktive haltung des moreno-clans der bürger_innenplattform von La Mina gegenüber, mit dessen präsidenten ich schon ein gutes interview geführt habe und eine gute basis hatte. Jetzt, nachdem mir moreno im vertrauen gewisse dinge über ihn erzählt hat, muss ich aber feststellen dass sich meine position, zumindest ihm gegenüber, auch verändert, ins „negative“, wertende – und vermeidende.
Kurz: Es ist klar, dass man von seinen gewährsleuten beeinflusst wird, das is ja der sinn der sache, aber bei den wertungen ist eben der strich zu ziehen und abstand zu nehmen. Der schutz und das heil meiner person kann oder darf ich nicht über wertkonservative haltungen, sondern in der eigentlichen kommunikationssituation herstellen: sehr wohl mit einem wie Palomo reden, aber dabei eine gewisse kontrolle behalten, da ist zB der „schmäh“ ein sehr schönes werkzeug, und sollte es sozusagen persönlich werden, versuchen mich zu behaupten, das gesicht nicht zu verlieren. Sollte das nicht funktionieren (sprachlicher nachteil und wenig erfahrung mit hiesiger kommunikationskultur), bleibt nur noch, dass es mir egal wird, was bei dieser begegnung rauskommt, solangs nicht physisch wird, und dass mir für den moment dieser mensch selbst egal wird und damit mein status bei ihm/ihr.
Klingt nach einer jener bösen anthropologenfeldforschungshandlungsanleitungen.
Dieser Blog soll Medium sein für die Vermittlung und Reflexion meiner Feldforschung für die Diplomarbeit in Barcelona/ESP, Thema "Protestantische Kirchen als soziokulturelles Problem in spanischen Romacommunities". So bin ich hier auf mich allein gestellt, die Fittiche von Schule, Arbeitgeber, Uni hinter mich lassend, mein erstes *eigenständiges* Projekt, mein Kind quasi, bin somit Alleinerzieher von meiner Th_er_ese, eher antiautoritär, glaube ich: Entwickeln und entwickeln lassen.
Zur Orientierung: Eintraege sind nach Datum von unten nach oben sortiert.
Legende
La Mina: Das Viertel in dem ich lebe und arbeite
CCG: Centro Cultural Gitano de La Mina - Kulturzentrum urspruenglich andalusischer Gitanos in La Mina
Culto: Evangelische Pentecost-Kirche mit hohem Gitanoanteil
CCG: Centro Cultural Gitano de La Mina - Kulturzentrum urspruenglich andalusischer Gitanos in La Mina
Culto: Evangelische Pentecost-Kirche mit hohem Gitanoanteil
Paco Moreno (alle Namen geändert): Praesident des CCG und Flamencopurist
Janko Moreno: Bruder von Paco, Barbesitzer, Flamenco-Fusionist
Kiko: Ein alter Gitano und wichtiger Gesprächspartner
Mateo: Gewährsmann im Culto, Mentor
Janko Moreno: Bruder von Paco, Barbesitzer, Flamenco-Fusionist
Kiko: Ein alter Gitano und wichtiger Gesprächspartner
Mateo: Gewährsmann im Culto, Mentor
payo/paya: Nicht-Gitano / Nicht-Gitana, emic-Begriff
quinquillero_a: Nomad_in, der/die wie ein Gitano lebt aber ethnisch keine_r ist, auch emic
mestizo_a: Jemand, der genetisch 50/50 Gitano/Payo ist
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