Fast drei Monate hat es hier also gebraucht, an durchaus schmerzhaften Irrwegen im Feld, bis ich einen „Eingang“ gefunden habe, einen Eingang ins soziale Feld, einen Durchgang durch das Labyrinth meiner Zweifel, die sich nicht ausmalen konnten, wie ich da denn jemals hineinfinden sollte.
Nur kurz zur Vorgeschichte: Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Gitanos, Eingang ins Feld gesucht über eine sozialwissenschaftlich ausgerichtete Institution an der Uni Barcelona mit sozialwissenschaftlich-sozialpolitischem Hintergrund (Überwindung sozialer Ungleichheit, vor allem marginalisierter Gruppen wie eben z.B. den Gitanos, mittels partizipativer lösungsorientierter Forschungsprojekte). Mein Ansatz war sehr offen: mit wenig Konzept als Praktikant „einfach mal mitarbeiten“ bei EZA-Projekten mit Gitanos, und schauen in welche Richtung sich mein Blick entwickelt, unter Mithilfe einer Tutorin aus dieser Institution. Damit war ich von anfang an auf Konfrontationskurs mit den Vorstellungen und Ansprüchen die da an mich herangetragen wurden. Ich kam in kein Projekt rein, die Tutorin vorenthielt mir wichtige Infos (Eingänge), und nach drei Monaten kam dann das Ultimatum „schick uns jetzt endlich ein richtiges Konzept oder du bist raus“. Ich warf das Handtuch, schluckte erst mal, und atmete bald erleichtert auf: endlich frei von dieser Abhängigkeit, von den imaginierten Zwängen, frei von der Warterei auf Email-Antworten, frei von ziemlich fremden Academia-Codes, endlich den Blick ganz einfach abgewandt von diesen labyrinth-artigen institutionellen Mauern, die mir keinen rechten Zugang gewaehrten.
Und hin zur „anderen Seite“, der Zielgruppe besagter Institution, den Gitanos, die am „Arsch von Barcelona“, wie dieses Viertel unter anderem genannt wird, leben, zusammen mit „payos“, also Nicht-Gitanos, marginalisiert, am Rand. 15.000 Einwohner in Plattenbauten, davon 5.000 Gitanos, hoechste Bevoelkerungsdichte, Arbeitslosigkeit, Kriminalitaet von Barcelona. Ich konnte nun endlich einfach „reingehen“, erst mal offene Interviews führen und explorativ auf der Straße und den Bars dort unterwegs sein, wurde in einer Bar gleich initiiert, musste „Chorizo“ essen (Wurst aus rohem Faschiertem), das Vegetarier-Sein ziemlich hart über Bord werfend: für die Wissenschoft!!
Aber ich hatte trotzdem keine Ahnung, wie ich es schaffen sollte, dass die Gitanos mich akzeptieren, als jemand der sie „beforscht“: Wie legitimiert man das auf lange Sicht, dass man daherkommt und sie ausfragt und sie beobachtet und über sie schreibt? Gerade bei Roma, die für eine gewisse Abneigung Forschern gegenüber bekannt sind. Der Gedanke „ich muss irgendwas zurückgeben“ führte dann zur Idee, mich als freiwilliger Englisch-Lehrer anzubieten, im Kulturzentrum der Gitanos im Viertel. Und das war DIE Idee, so ein „Geburtsmoment“, wo sich der Knoten und dieses mein latentes Schuldgefühl als „Beforscher“ endlich auflöste – ich hatte (m)eine Rolle gefunden! Zwar keine Ahnung vom Englischlehrersein, aber egal wird schon gehen, muss gehen, Hauptsache ich hab einen offiziell gut vertretbaren Sinn meines Tuns und Seins dort, einen Eingang! Einen fruchtbaren Boden, wo was wachsen kann ...
Dieser Blog soll Medium sein für die Vermittlung und Reflexion meiner Feldforschung für die Diplomarbeit in Barcelona/ESP, Thema "Protestantische Kirchen als soziokulturelles Problem in spanischen Romacommunities". So bin ich hier auf mich allein gestellt, die Fittiche von Schule, Arbeitgeber, Uni hinter mich lassend, mein erstes *eigenständiges* Projekt, mein Kind quasi, bin somit Alleinerzieher von meiner Th_er_ese, eher antiautoritär, glaube ich: Entwickeln und entwickeln lassen.
Zur Orientierung: Eintraege sind nach Datum von unten nach oben sortiert.
Legende
La Mina: Das Viertel in dem ich lebe und arbeite
CCG: Centro Cultural Gitano de La Mina - Kulturzentrum urspruenglich andalusischer Gitanos in La Mina
Culto: Evangelische Pentecost-Kirche mit hohem Gitanoanteil
CCG: Centro Cultural Gitano de La Mina - Kulturzentrum urspruenglich andalusischer Gitanos in La Mina
Culto: Evangelische Pentecost-Kirche mit hohem Gitanoanteil
Paco Moreno (alle Namen geändert): Praesident des CCG und Flamencopurist
Janko Moreno: Bruder von Paco, Barbesitzer, Flamenco-Fusionist
Kiko: Ein alter Gitano und wichtiger Gesprächspartner
Mateo: Gewährsmann im Culto, Mentor
Janko Moreno: Bruder von Paco, Barbesitzer, Flamenco-Fusionist
Kiko: Ein alter Gitano und wichtiger Gesprächspartner
Mateo: Gewährsmann im Culto, Mentor
payo/paya: Nicht-Gitano / Nicht-Gitana, emic-Begriff
quinquillero_a: Nomad_in, der/die wie ein Gitano lebt aber ethnisch keine_r ist, auch emic
mestizo_a: Jemand, der genetisch 50/50 Gitano/Payo ist
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Hey Archie,
AntwortenLöschenschön, dass das mit dem Blog geklappt hat und wir nun alle ein bisschen mitbekommen was du so treibst und, wie man lesen konnte, was dich so (an)treibt.
Wichtig, dass du das Selbstvertrauen gewonnen hast, deinen Plan auf eigene Faust umzusetzen und ins Feld einzutauchen. Es scheinen sich langsam bereits erste (vielversprechende?) Strukturen zu ergeben. Beim ersten Lesen deiner drei Einträge sind mir besonders deine Formulierungen "Ein starker persoenlicher Ausdruck ist wie eine klare Frage" und "am Ende (=im Moment" aufgefallen, die ich spannend finde und die mir länger im Gedächtnis bleiben werden. Interessante Sätze auch, weil sie, wie mir vorkommt, viel Wahrhaftigkeit für dich besitzen, Ausdruck vergangener Erlebnisse und zugleich Zukunftswünsche sind und - sogar (oder gerade)Barcelonakontextbefreit - über sich hinausweisen.
Ich freu mich auf weitere anregende Einträge (und Diskussionen) und wünsche dir und dem Blog alles Gute.
Danke Kurt,
Löschennoch eine Phrase in die Richtung, gerade im FF-Tagebuch gefunden: "Verstehen durch direktes Handeln, Nahrung fuer die Analyse" ...so stehts drin.
Dazu dann die Frage, ob das Reflektieren/Rationalisieren/Analysieren des direkten Handelns dieses nicht stoeren koennte...ich meine, wenn man im Nachhinein immer fleissig analysiert, koennte sich der Verstand ja irgendwann bemuessigt fuehlen, schon im vorhinein darueber nachzudenken, und dann ists mit dem direkten Handeln glaube ich vorbei, und mit der Unschuld des Augenblicks.
Tja, gemacht werden muss es trotzdem, das Analysieren. Vor allem in die Richtung, WELCHE Wahrhaftigkeit diese Saetze denn fùer mich besitzen, auf welche psychischen Befindlichkeiten sie rekurrieren, wenn ich meine Subjektivitaet hier verstehen und als Datenquelle nutzen und a bissi dekonstruieren will.
hey, fabelhaft! bin schon etwas verliebt in die kleine Therese. Der Genderaspekt - siehe Tanzscene ist nicht übersehbar, in dir gedeiht fruchtbares, pah!
AntwortenLöschenMein inneres Diplomarbeitskind trägt den Namen Luise (*.*)
Neugierig wie ein Kind bestieg sie mit dem eulengroßen Augen, Barfußschuhwerk und dem Instinkt einer hungrigen Wölfin die Welt um mit vollen Blättern heimzukehren.
Ich hab tatsächlich 600km Entfernung gebraucht um mich regelrecht zu distanzieren. Der analytische Verstand ist gottseidank erwacht. Mach du dir keine Sorgen um die Analyse!!!!Nicht jetzt! Deine Therese wird viel erleben und erfahren, ich freu mich auf weitere Berichte. Am Ende wird ganz klar ein Muster ersichtlich sein, in deinem bunten Zigeunerteppich, aus Beobachtungen und Interviews gewebt. Auf das würd ich an deiner Stelle vertrauen und mich mit Spaß und Liebe ins Getümmel werfen, arriba!
Keine Watschn - abrazzzzzzzzzzo
kathrin