Er heisst Antonio und ist mir von Anfang an als "graue Eminenz" der großen Kirche aufgefallen, die hinter dem predigenden Pastor sitzt und weniger durch Worte als durch bloße Präsenz das Messeritual mitgestaltet.
Wenn er doch einmal predigte, hatte ich bei ihm stärker als bei allen anderen das Gefühl, dass er manipulierend vorgeht, dass hinter seinen Worten andere Motive als die Vorgegebenen stehen. Er war auch der einzige der Kirchenverteter, der mich lange Zeit ignorierte und erst in letzter Zeit begann, mich zu grüßen. Außerdem wusste ich aus verlässlicher Quelle, dass er gegen Kirchenkritiker mindestens einmal schon sehr scharf vorgegangen ist. Und er fährt einen großen Mercedes, was Anlaß für viel Polemik von außerhalb und verdeckter Kritik innerhalb der Kirche ist. Er ist sehr gelehrt, nicht nur was die Bibel betrifft - eigene Theorien zur Herkunft der Gitanos bauend, betriebt er seit vielen Jahren eine Art Eigenstudium zur Geschichte seines Volkes.
Ich hatte also einen gesunden Respekt vor ihm. Eines Abends, vor der Kirche, kam er plötzlich auf mich zu, wir kamen ins Gespräch. Trotz meines "Respekts" stellte ich diesmal in der Präsentation meiner selbst den E-Lehrer, der bis jetzt als Schutzschild gedient hatte, hintan und betonte eher den Forschungsaspekt meines Tuns, und noch bevor ich mich präventiv rechtfertigen konnte, fiel er mir ins Wort und erinnerte mich an meine "Verantwortung" die ich als Autor und Publizierender hätte, und dass mir - gleich einem Chirurgen - als Solcher keine Fehler unterlaufen dürften. Und wenn doch, dann würde ich vor meiner Zeit "sterben", und meine Kinder auch" -- ich musste erst mal schlucken. Ich erfuhr dann bald aus anderer Quelle, dass dies keine direkte Todesdrohung ist, sondern eine Drohung, die quasi über Gott läuft, der alttestamentarische Gott, der Sünden nicht nur dem Sünder vergilt, sondern auch seinen Kindern (7 Generationen).
Vor der nächsten Messe traf ich ihn wieder zufällig, und präsentierte unerschrocken meine guten Absichten: nämlich ( wie schon meinem Bibellehrer gegenüber) dass ich ihre Glaubenspraxis von innen erfahren möchte, ihre religiösen Gefühle selbst spüren möchte, so weit ich kann den Glauben also annehmen möchte. Er nahm das voll an, sein Bild von vorhin, der arrogante Forscher in kritischem Abstand, der nichts versteht, verschwand.
Wir gingen fast Hand in Hand in die Kirche.
Lüge? Theater? Doppelspiel? "Ethischer Knoten"? ... nun ja, erstens ist da dieses so weit ich kann, das mir die Hintertüre des "eben-nicht-gekonnt-habens" offenlässt, und zweitens passierte bald darauf noch etwas, eine spontane Initiation, die den "ethischen Knoten" zumindest für den Moment gelöst hat ... bald mehr dazu.
Dieser Blog soll Medium sein für die Vermittlung und Reflexion meiner Feldforschung für die Diplomarbeit in Barcelona/ESP, Thema "Protestantische Kirchen als soziokulturelles Problem in spanischen Romacommunities". So bin ich hier auf mich allein gestellt, die Fittiche von Schule, Arbeitgeber, Uni hinter mich lassend, mein erstes *eigenständiges* Projekt, mein Kind quasi, bin somit Alleinerzieher von meiner Th_er_ese, eher antiautoritär, glaube ich: Entwickeln und entwickeln lassen.
Zur Orientierung: Eintraege sind nach Datum von unten nach oben sortiert.
Legende
La Mina: Das Viertel in dem ich lebe und arbeite
CCG: Centro Cultural Gitano de La Mina - Kulturzentrum urspruenglich andalusischer Gitanos in La Mina
Culto: Evangelische Pentecost-Kirche mit hohem Gitanoanteil
CCG: Centro Cultural Gitano de La Mina - Kulturzentrum urspruenglich andalusischer Gitanos in La Mina
Culto: Evangelische Pentecost-Kirche mit hohem Gitanoanteil
Paco Moreno (alle Namen geändert): Praesident des CCG und Flamencopurist
Janko Moreno: Bruder von Paco, Barbesitzer, Flamenco-Fusionist
Kiko: Ein alter Gitano und wichtiger Gesprächspartner
Mateo: Gewährsmann im Culto, Mentor
Janko Moreno: Bruder von Paco, Barbesitzer, Flamenco-Fusionist
Kiko: Ein alter Gitano und wichtiger Gesprächspartner
Mateo: Gewährsmann im Culto, Mentor
payo/paya: Nicht-Gitano / Nicht-Gitana, emic-Begriff
quinquillero_a: Nomad_in, der/die wie ein Gitano lebt aber ethnisch keine_r ist, auch emic
mestizo_a: Jemand, der genetisch 50/50 Gitano/Payo ist
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