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Legende
La Mina: Das Viertel in dem ich lebe und arbeite
CCG: Centro Cultural Gitano de La Mina - Kulturzentrum urspruenglich andalusischer Gitanos in La Mina
Culto: Evangelische Pentecost-Kirche mit hohem Gitanoanteil
Paco Moreno (alle Namen geändert): Praesident des CCG und Flamencopurist
Janko Moreno: Bruder von Paco, Barbesitzer, Flamenco-Fusionist
Kiko: Ein alter Gitano und wichtiger Gesprächspartner
Mateo: Gewährsmann im Culto, Mentor


payo/paya: Nicht-Gitano / Nicht-Gitana, emic-Begriff
quinquillero_a: Nomad_in, der/die wie ein Gitano lebt aber ethnisch keine_r ist, auch emic
mestizo_a: Jemand, der genetisch 50/50 Gitano/Payo ist

Montag, 26. November 2012

Ethik-Knoten


Er heißt J.D. (Name geändert) und wird mir schon seit zwei Wochen als Bibellehrer empfohlen, weil er der “Experte” sei, was die Bibel betrifft. Er ist um die 35, verheiratet, zwei Kinder. Bezeichnet sich selbst als glücklichsten Menschen der Welt, weil er sich tief im Glauben verankert fühlt, im Glauben an seinen Weg zu Gott hin, geleitet vom heiligen Wort, der über Zweifel  erhabenen und nicht kritisierbaren Bibel. 

Er weiss zwar dass ich (neben E-Lehrer auch) Forscher bin. Was laut cultokritischen Gitanos gefährlich im Sinne des Feldzugangs ist – aus ihrer Sicht ist es eine Sekte die kritische Geister nicht weit vorlässt.  Ich habe mich aber als Forscher positioniert, der weiß, dass er den Glauben, um ihn zu verstehen, zuerst fühlen muss, ja den Glauben annehmen muss soweit er kann.
Das Gespräch mit J.D. ist als “Bibelstunde” angesetzt, die sich aber von Anfang als persönliches Gespräch gestaltet. Für ihn ist das Treffen also ein  Gespräch, das mich zum Glauben hinführen soll, ein Dienst an Gottes Plan, und für mich ist es ein Leitfadeninterview, in dem sich narrative Elemente zu seiner Person mit informativen Elementen zu Glauben und Kirche vermischen und ein natürliches Gespräch in gegenseitiger Sympathie ergeben. Für mich bin ich
ein am Glauben interessierter Feldforscher, der aber schon weiß dass dieser Glauben für ihn persönlich nicht der Stein der Weisen ist, für ihn gibt es in mir aber noch einen fruchtbaren Boden für den Glauben, in den es sich zu investieren lohnt.
 
Eine ethisch problematische Situation des Doppelspiels also, die sich aus den Notwendigkeiten, aber wohl auch Irrtümern heraus ergibt. Um den Leuten möglichst nahe zu sein und mir Datenquellen zu erschließen, muss in meiner sozialen Rolle (Selbstperformance) auch der Glaubensaspekt dabei sein, ich als "authentischer" Kirchenbesucher, somit als tatsächlich teilnehmender Beobachter, wenn auch nicht wirklich authentisch und teilnehmend. 

Es bleibt mir nur, diese soziale Rolle halbwegs flexibel zu halten und zu schauen, wie sich die Situation weiter entwickelt. 

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