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Legende
La Mina: Das Viertel in dem ich lebe und arbeite
CCG: Centro Cultural Gitano de La Mina - Kulturzentrum urspruenglich andalusischer Gitanos in La Mina
Culto: Evangelische Pentecost-Kirche mit hohem Gitanoanteil
Paco Moreno (alle Namen geändert): Praesident des CCG und Flamencopurist
Janko Moreno: Bruder von Paco, Barbesitzer, Flamenco-Fusionist
Kiko: Ein alter Gitano und wichtiger Gesprächspartner
Mateo: Gewährsmann im Culto, Mentor


payo/paya: Nicht-Gitano / Nicht-Gitana, emic-Begriff
quinquillero_a: Nomad_in, der/die wie ein Gitano lebt aber ethnisch keine_r ist, auch emic
mestizo_a: Jemand, der genetisch 50/50 Gitano/Payo ist

Dienstag, 21. August 2012

Ende der Freischwimmerzeit / der Auftrag

Die liebe kleine Therese hat inzwischen einige Transformationen durchgemacht, die man als Wachstumsschübe, aber auch als Resets sehen könnte: Sie schwamm von einer diffusen Fragestellung zur nächsten, hier nochmal in Schlagworten:
Entwicklungszusammenarbeit mit Gitanos (von La Mina) - Integration aus der Sicht der Gitanos - Überlebensstragien der Gitanos und was bedeutet das für die Integration, Fokus bildungsferne Sozialfelder.
Sprich weiter offen forschen, quasi offen Literatur lesen, wachsendes Unbehagen und Fragenbasteln. Daneben tauchen Fragen auf wie: Forsche ich überhaupt? Komme ich jemals bei einem Ausgangspunkt an?
Dann eines Abends raus, bzw. rein, ins Feld, mir nicht gewahr was das Feld mit mir vorhat - denn es zeigt sich nochmal sehr anders als sonst, es liegt etwas in der Luft, eine Energie in Form der Präsenz vieler für mich wichtiger Personen, eine Energie die alle meine Pseudo-Tageslegitimationspläne wegwischt und mich in Jankos Bar festnagelt, wo sich Vieles konzentriert, wo sich das Feld an diesem Abend um mich herum regelrecht versammelt und arrangiert, im Dialog mit meinem eigenen Input. Schön, aber wieder ohne konkrete Richtung. Nicht sehr glücklich erhebe ich mich vom Tische zum Gehen, nicht ahnend dass jetzt was “einrasten” wird: Paco Moreno fragt mich, wie es denn nun mit der "tésis" ausschaut, wir hatten schon seit fast 3 Wochen nicht mehr geredet. Ich sage, das kann ich nicht sagen weil ich keine Referenz habe. 
Er darauf: du wirst da ohne klare Fragestellung aber verrückt werden, weils zu komplex und widersprüchlich ist. Über einen isolierten Stamm im Amazonas kann man eine hübsche Ethnographie machen, aber die Gitanos in La Mina sind zu zerrissen, verschieden integriert, verschiedene Bildungsniveaus, ganz viele interne Differenzierungen und Brüche die Generalisierungen und Analyse sehr schwierig machen. „Complicado“. Er meint also ich brauche einen klaren Ausgangspunkt, von dem aus ich arbeiten, fragen, verstehen kann, auf dass daraus weitere Fragen hervorgehen mögen. Spannend, das “koloniale Setting” anthropologischer Forschung mal umgedreht zu erfahren.

Und dann servierte er mir sogar die Fragestellung, bzw. er und Janko baten mich darum, eine kritische Analyse des "Culto"zu machen, der evangelikalen religiösen Bewegung, die z.Z. in ganz Spanien v.a. unter Gitanos boomt. So auch in La Mina. Für "progressiv" orientierte, aufgeklärtere,  in der eigenen Kultur aber gut verwurzelte Gitanos wie den Moreno-Clan stellt der  Culto aber eine destruktive Sekte und das akuteste soziale Problem überhaupt dar, fast alles was die kulturelle Identität der Gitanos ausmacht, der Flamenco, kulturelle Werte, diverse Verhaltenskodizes, ist im Culto verboten – weil kulturelle Äusserungen, Moral, etc., Gott gelten müssen. Das heißt, sie vermissen eine kritische Forschung  darüber, fühlen sich alleingelassen, unverstanden, von den "antropologos" auch in dieser Hinsicht enttäuscht. Aber mir schenken sie das Vertrauen. Als ehemalige Mitglieder dieser Kirche geben sie mir auch ganz klare Hinweise, wie ich Vertrauen gewinnen und dieses neue Feld durchdringen kann: inkognito, soweit es geht going native, Schäfchen sein, jede Messe besuchen, geschniegelt sein, Bibel unterm Arm, usw. Klare Anweisung, nie mit ihnen zu diskutieren, nie offen kritisch zu sein, erst wenn ich das schaffe würden sie (die Pastoren) mir  "alles zeigen". Es ist fast wie ein Spionage-Briefing. Ein paar Tage später gab ich die Zusage: Wenn mir das Feld so klar zeigt und kommuniziert, wo es brennt, liegt es nahe, dem zu folgen, v.a. aus dem Gedanken einer “sozialpolitisch engangierten Wissenschaft” ( Fielhauer zb) heraus. Nein, Geld boten sie mir keines an, sie bezahlen mit der Bereitschaft, mir zur Verfügung zu stehen, als Informanten, Helfer, Reflexions-Partner, in der Hinsicht auch einer Art psychologischen Begleitung vielleicht?

Es ist nun vorbei mit der Freischwimmer-Zeit, jetzt heisst es Verantwortung für konkrete Forschung übernehmen, sich dem Risiko von Sackgassen und Scheitern aussetzen, mehr Tagesstruktur, konsequentes Lesen von jetzt klar fokussierter Literatur, konsequentes Reflektieren der Problematik der potentiellen “Parteinahme” für meine Auftraggeber. Und fragen: Wie verlaufen die kulturellen Bruchlinien und Risse zwischen der Culto-Bewegung, Gitano-Kultur und aufgeklärten Betroffenen? Welche sozialen Konflikte, aber auch persönliche, interne Konflikte macht der Culto auf? Wie funktioniert der Culto als Träger und Quelle neuer Identitäten und wie werden diese den vorhandenen Identitäten übergestülpt?
...Änderungen in den Fragestellungen vorbehalten, ich stehe noch am Anfang dieses neuen “Felds im Feld” und habe noch nicht das Gefühl, mit meinen Fragen wirklich “am Punkt” zu sein.



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