Entwicklungszusammenarbeit mit Gitanos (von La Mina) - Integration aus der Sicht der Gitanos - Überlebensstragien der Gitanos und was bedeutet das für die Integration, Fokus bildungsferne Sozialfelder.
Sprich weiter offen
forschen, quasi offen Literatur lesen, wachsendes Unbehagen und
Fragenbasteln. Daneben tauchen Fragen auf wie: Forsche ich überhaupt?
Komme ich jemals bei einem Ausgangspunkt an?
Dann eines Abends raus, bzw. rein, ins Feld, mir nicht gewahr was das
Feld mit mir vorhat - denn es zeigt sich nochmal sehr anders als
sonst, es liegt etwas in der Luft, eine Energie in Form der Präsenz
vieler für mich wichtiger Personen, eine Energie die alle meine
Pseudo-Tageslegitimationspläne wegwischt und mich in Jankos Bar
festnagelt, wo sich Vieles konzentriert, wo sich das Feld an
diesem Abend um mich herum regelrecht versammelt und arrangiert, im
Dialog mit meinem eigenen Input. Schön, aber wieder ohne konkrete
Richtung. Nicht sehr glücklich erhebe ich mich vom Tische zum Gehen,
nicht ahnend dass jetzt was “einrasten” wird: Paco Moreno
fragt mich, wie es denn nun mit der "tésis" ausschaut, wir
hatten schon seit fast 3 Wochen nicht mehr geredet. Ich sage, das
kann ich nicht sagen weil ich keine Referenz habe.
Er darauf: du wirst da ohne klare Fragestellung aber verrückt
werden, weils zu komplex und widersprüchlich ist. Über einen
isolierten Stamm im Amazonas kann man eine hübsche Ethnographie
machen, aber die Gitanos in La Mina sind zu zerrissen, verschieden
integriert, verschiedene Bildungsniveaus, ganz viele interne
Differenzierungen und Brüche die Generalisierungen und Analyse sehr
schwierig machen. „Complicado“. Er meint also ich brauche einen
klaren Ausgangspunkt, von dem aus ich arbeiten, fragen, verstehen
kann, auf dass daraus weitere Fragen hervorgehen mögen. Spannend,
das “koloniale Setting” anthropologischer Forschung mal umgedreht
zu erfahren.
Und dann servierte er mir sogar die Fragestellung, bzw. er und Janko
baten mich darum, eine kritische Analyse des "Culto"zu machen, der evangelikalen religiösen Bewegung,
die z.Z. in ganz Spanien v.a. unter Gitanos boomt. So auch in La
Mina. Für "progressiv" orientierte, aufgeklärtere, in
der eigenen Kultur aber gut verwurzelte Gitanos wie den Moreno-Clan
stellt der Culto aber eine destruktive Sekte und das akuteste
soziale Problem überhaupt dar, fast alles was die kulturelle
Identität der Gitanos ausmacht, der Flamenco, kulturelle Werte,
diverse Verhaltenskodizes, ist im Culto verboten – weil kulturelle
Äusserungen, Moral, etc., Gott gelten müssen. Das heißt, sie
vermissen eine kritische Forschung darüber, fühlen sich
alleingelassen, unverstanden, von den "antropologos" auch
in dieser Hinsicht enttäuscht. Aber mir schenken sie das Vertrauen.
Als ehemalige Mitglieder dieser Kirche geben sie mir auch ganz
klare Hinweise, wie ich Vertrauen gewinnen und dieses neue Feld
durchdringen kann: inkognito, soweit es geht going native, Schäfchen
sein, jede Messe besuchen, geschniegelt sein, Bibel unterm Arm, usw.
Klare Anweisung, nie mit ihnen zu diskutieren, nie offen kritisch zu
sein, erst wenn ich das schaffe würden sie (die Pastoren) mir
"alles zeigen". Es ist fast wie ein
Spionage-Briefing. Ein paar Tage später gab ich die Zusage: Wenn mir
das Feld so klar zeigt und kommuniziert, wo es brennt, liegt es nahe,
dem zu folgen, v.a. aus dem Gedanken einer “sozialpolitisch
engangierten Wissenschaft” ( Fielhauer zb) heraus. Nein, Geld boten
sie mir keines an, sie bezahlen mit der Bereitschaft, mir zur
Verfügung zu stehen, als Informanten, Helfer, Reflexions-Partner, in
der Hinsicht auch einer Art psychologischen Begleitung vielleicht?
Es ist nun vorbei mit der Freischwimmer-Zeit, jetzt heisst es Verantwortung für konkrete Forschung übernehmen, sich dem Risiko von Sackgassen und Scheitern aussetzen, mehr Tagesstruktur, konsequentes Lesen von jetzt klar fokussierter Literatur, konsequentes Reflektieren der Problematik der potentiellen “Parteinahme” für meine Auftraggeber. Und fragen: Wie verlaufen die kulturellen Bruchlinien und Risse zwischen der Culto-Bewegung, Gitano-Kultur und aufgeklärten Betroffenen? Welche sozialen Konflikte, aber auch persönliche, interne Konflikte macht der Culto auf? Wie funktioniert der Culto als Träger und Quelle neuer Identitäten und wie werden diese den vorhandenen Identitäten übergestülpt?
...Änderungen in den Fragestellungen vorbehalten, ich stehe noch am Anfang dieses neuen “Felds im Feld” und habe noch nicht das Gefühl, mit meinen Fragen wirklich “am Punkt” zu sein.