Ein Vorfall vor mittlerweile zwei Tagen hat mich wunderbar auf mich selbst zurückgeworfen, auf die alte Frage der Selbstperformanz im Feld, auf die Frage, wie sich gewisse psychische Bedingungen auf die "Feldforschungsleistung" auswirken.
Ich habe meine Geldtasche verloren, mit allen Karten drin usw; stand / stehe also da ohne Geld und, große Verzweiflung: ohne Möglichkeit zur Geldbeschaffung, für mindestens eine Woche. Nach dem suchend-und-weinend-in-den-Straßen-Rumrennen, Drama, Angstattacken, realisierte ich schließlich, sowohl intellektuell (bewusstes Denken) als auch "physisch" (unterbewusstes Reset und Hochfahren von Verhaltensmodi wie "Überleben" und "Flucht nach vorne" und "Alles egal"), dass ich da jetzt rausgehen und mich völlig aufmachen muss - das heißt, kein strategisches Denken, keine Schonungs- und Wohlfühlstrategien mehr, kein Herumüberlegen und Zweifeln, keine Aktionsschablonen. Diesem ganzen Kopfballast entledigt, wach, dem Feld begegnen. Eine "Hingabe an...", ein "Fließen mit...". Mein Feld ist dazu geradezu prädestiniert, weil es geographisch sehr klar definiert und sowohl architektonisch als auch kulturell (Kommunikationshabitus) sehr offen ist.
Die folgenden 3 Stunden brachten folgende Ergebnisse, in chronologischer Reihenfolge:
a) Ein besseres Verständnis der generellen Verachtung der Einwohner für die Junkies hier, eine gewisse empirische Abdeckung des untersten sozialen Segments des Viertels - soll nicht heißen dass ich jetzt auch Einer bin, aber sie wollten mich glaube ich mitreinziehen, versprachen mir, "mir zu helfen" wegen dem Geld, manipulativ mich auf immer später vertröstend (ich blieb weil ich in meiner Verzweiflung keinen Strohhalm auslassen wollte), denunzierten mich schließlich als Polizist, das reichte dann. Ich musste dann sowieso dem Sohn von Paco Moreno nachlaufen, der gerade vorbeigegangen war und mich schief angeschaut hatte, unangenehmen Nachwirkungen dieser Episode vorbeugend: "Mir gehts grad so und so, deshalb das und das, nein ich gehör nicht dazu".
b) Ein wunderbares, sehr offenes Gespräch mit einem der trickreichsten, ausgefuchstesten Füchse des Viertels, vor dem ich bis jetzt große Scheu hatte, ein 60jähriger Gitano, Großfamilien-"Patriarco", dessen Geschichte(n) Bücher füllen könnten, es ging vor allem um Überlebensstrategien, arm und reich, ums Helfen - wir gingen dann zusammen für mich Wasser und Brot einkaufen. Er überließ mir ein paar Euro Wechselgeld, ganz natürlich und gemäß seinen Vorstellungen von gerechter Umverteilung, die halfen fürs Erste.
c) Eine hochenergetische Begegnung mit Kiko (s. Legende), da gings vor allem um Glaube, Religion, Hingabe - er und ich in einer Klarheit und Reflexion von Situation und Emotion, dass es mich wirklich "traf" und bestärkte und mich den Wert meiner Situation als "Lernsituation" klar sehen ließ.
d) Zum ersten Mal bekam ich direkte, offene Kritik am CCG zu hören, vom Neffen obigen Robin Hoods (b), ich sah einen verhärteten, vom Überlebens- und Arbeitsdruck frustrierten Menschen, seinen Neid an den Begüterten (Gitanos), die dafür auch noch Ansehen ernten - genau der Neid mit dem zB. Paco Moreno als begüterte Respektsperson zu kämpfen hat.
Ich sehe eine weitere, wichtige Bruchlinie in der so gerne von außen und innen affirmierten Einheit von Gitanos / Roma.
Und ich sehe, wie ich selbst, durchaus erfolgreich, das CCG verteidige.
Mechanismen wie diese, die über Wahrnehmung und Aktion, schließlich über die soziale Kompetenz und die Felddynamik bestimmen, lassen mich nicht los und müssen essentielles Element meiner Feldtheorie und -praxis sein. Es geht nicht anders.
Das "Sein statt Haben" bzw. dem Feld derart ausgesetzt zu sein, soll hier aber nicht zum Gral der Feldforschung erhoben werden, und zur ausschließlichen Erfolgsbedingung, sondern lediglich als ein Methodenelement dem ich subjektiv emotional besonders zugetan bin und das ich als essentiell ansehe. Soll heißen, ohne geht nicht.
Aber diesen Zustand wahrhaftig zu etablieren und zu institutionalisieren hieße, als Forscherversion des Bettelmönchs durch die Straßen zu ziehen - hier also neben der Bettelschale das Notizbuch und die Literaturkiste zu haben und sonst nichts....um dieses Extrem auch mal ausgelotet zu haben.
Dazu Rückendeckung von Goffman: "Das gelingt am besten, wenn man nackt bis auf die Knochen ist und wenn man auf so wenig Ressourcen wie nur möglich zurückgreift. [Jede Welt ist für ihre Bewohner sinnvoll und versorgt ihre Leute, ermöglicht ihnen ein Leben]. Und genau darum ist es Ihnen zu tun; das ist der Punkt, den Sie so schnell wie möglich erreichen müssen. Der Weg, auf dem man dazu kommt, ist, [das Feld] zu brauchen. Und der einzige Weg, es zu brauchen, ist, nichts Eigenes zu haben. [...] Die meisten Leute gehen aber nicht weit genug." (1)
Ich werde mein Wohnmobil samt Inventar jetzt aber nicht verschenken, bleibt meins.
Und solcherart wieder mal ganz weit weg von konservativer Methodentheorie, Konzept, Fragestellung, Struktur, soll gesagt sein dass ich dafür sehr bald, voraussichtlich im nächsten Eintrag schon, eine Lanze brechen möchte.
(1) Goffman, Erving: Über Feldforschung. In: Knoblauch, Hubert (Hg.): Kommunikative Lebenswelten. Zur Ethnographie einer geschwätzigen Gesellschaft, Konstanz 1996, S. 264f.
Dieser Blog soll Medium sein für die Vermittlung und Reflexion meiner Feldforschung für die Diplomarbeit in Barcelona/ESP, Thema "Protestantische Kirchen als soziokulturelles Problem in spanischen Romacommunities". So bin ich hier auf mich allein gestellt, die Fittiche von Schule, Arbeitgeber, Uni hinter mich lassend, mein erstes *eigenständiges* Projekt, mein Kind quasi, bin somit Alleinerzieher von meiner Th_er_ese, eher antiautoritär, glaube ich: Entwickeln und entwickeln lassen.
Zur Orientierung: Eintraege sind nach Datum von unten nach oben sortiert.
Legende
La Mina: Das Viertel in dem ich lebe und arbeite
CCG: Centro Cultural Gitano de La Mina - Kulturzentrum urspruenglich andalusischer Gitanos in La Mina
Culto: Evangelische Pentecost-Kirche mit hohem Gitanoanteil
CCG: Centro Cultural Gitano de La Mina - Kulturzentrum urspruenglich andalusischer Gitanos in La Mina
Culto: Evangelische Pentecost-Kirche mit hohem Gitanoanteil
Paco Moreno (alle Namen geändert): Praesident des CCG und Flamencopurist
Janko Moreno: Bruder von Paco, Barbesitzer, Flamenco-Fusionist
Kiko: Ein alter Gitano und wichtiger Gesprächspartner
Mateo: Gewährsmann im Culto, Mentor
Janko Moreno: Bruder von Paco, Barbesitzer, Flamenco-Fusionist
Kiko: Ein alter Gitano und wichtiger Gesprächspartner
Mateo: Gewährsmann im Culto, Mentor
payo/paya: Nicht-Gitano / Nicht-Gitana, emic-Begriff
quinquillero_a: Nomad_in, der/die wie ein Gitano lebt aber ethnisch keine_r ist, auch emic
mestizo_a: Jemand, der genetisch 50/50 Gitano/Payo ist
Mittwoch, 25. Juli 2012
Mittwoch, 11. Juli 2012
Damit dieser Blog nicht zu einem Art Lese-Trockenschwimmparcour wird, nun endlich mal etwas fürs Auge. Es gibt bis jetzt nicht viel Fotomaterial weil ich da bis jetzt noch zurückhaltend war - ich muss erst diverse Projektionen meinerseits bezüglich der Sicht der Leute aufs Fotografiert-werden abbauen bzw. die Grenzen austesten - bis jetzt bin ich mit der Kamera noch eher "allgemein" und auf Abstand unterwegs. Ich werde dann nach und nach mehr reinstellen.


Zuerst zu mir: Dies ist mein Haus, Auto, Leben: der Ebro F 275, Bj. 1982, in der "Calle de las Estrellas" - Sternenstrasse.
Der Ort ist dank Autobahn und Zugstrecke direkt nebenan (man hat es nicht für Wert befunden, Lärmschutzwände zu errichten) nicht der beste Schlafplatz, ist aber ein strategisch interessanter Punkt, weil hier der Bauhof / Schule / Partystall des Kulturzentrums liegt. Und der Hühnerstall dessen Hahnenschreie mich immer nostalgisch an meine Heimat zurückdenken lassen.
Aber ich bin durchaus nomadisch, bin nicht immer hier.
Das "Allgemeine" zum Viertel:
Die gewaltigen Wohnblöcke, zwei von ca. zehn, aus der Sicht des Hauptplatzes, wenig los
Architektonische Gegensätze:
La Mina - Wohnblöcke (60er Jahre) vs. das hypermoderne "Vogelnest" des "Forum"-Komplexes rechts hinten (2004).
Und dies war ein Flamenco-Abend mit der Familie Moreno. Das ging also tatsächlich so, dass ich nichtsahnend, gerade aus meiner Siesta, also aus meinem Wohnwagen kommend sah dass der Griller angeworfen wurde, hallo sagte und sie mich einluden:

Paco Moreno und Sohn
Und links: Janko Moreno mit seiner weithin bekannten horizontalen Krawatte
(Tipp: in diesem Bildtext ist ein Fehler versteckt)
Zuerst zu mir: Dies ist mein Haus, Auto, Leben: der Ebro F 275, Bj. 1982, in der "Calle de las Estrellas" - Sternenstrasse.
Der Ort ist dank Autobahn und Zugstrecke direkt nebenan (man hat es nicht für Wert befunden, Lärmschutzwände zu errichten) nicht der beste Schlafplatz, ist aber ein strategisch interessanter Punkt, weil hier der Bauhof / Schule / Partystall des Kulturzentrums liegt. Und der Hühnerstall dessen Hahnenschreie mich immer nostalgisch an meine Heimat zurückdenken lassen.
Aber ich bin durchaus nomadisch, bin nicht immer hier.
Das "Allgemeine" zum Viertel:
Die gewaltigen Wohnblöcke, zwei von ca. zehn, aus der Sicht des Hauptplatzes, wenig los
Architektonische Gegensätze:
La Mina - Wohnblöcke (60er Jahre) vs. das hypermoderne "Vogelnest" des "Forum"-Komplexes rechts hinten (2004).
Und dies war ein Flamenco-Abend mit der Familie Moreno. Das ging also tatsächlich so, dass ich nichtsahnend, gerade aus meiner Siesta, also aus meinem Wohnwagen kommend sah dass der Griller angeworfen wurde, hallo sagte und sie mich einluden:
Paco Moreno und Sohn
Und links: Janko Moreno mit seiner weithin bekannten horizontalen Krawatte
(Tipp: in diesem Bildtext ist ein Fehler versteckt)
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