9:00 Aufstehen, ich brauchte viel Schlaf.
Frühstück, Tagesplanung, Bezirksverwaltung angerufen wegen Ausnahmegenehmigung für Aufenthalt (leben) in der Straße mit dem Wohnmobil *, abgelehnt weil ungesetzlich, nehme mir vor am Montag mit dem Anwalt des CCG darüber zu sprechen
10:00 Ins CCG, mit einer Gitano-Dachorganisation die am Wochendende ein Roma-Festival in der Stadt veranstaltet („Romanistan“), ein Treffen für morgen vereinbart, bei dem es darum gehen wird, wie ich mich als freiwilliger Helfer am besten einbringen kann (und am besten zu Informationen / Eindrücken zur Frage, wie Integration über dieses Festival verhandelt und kommuniziert wird, komme).
Sara (s. Legende) fragt mich dann, ob ich „Freunde unter den Drogenabhängigen“ hätte. Irgendwer erzählt herum (sie will mir nicht sagen wer), mich mit diesen Leuten gemeinsam gesehen zu haben, was natürlich eindeutig beweist, dass auch ich bereits der „droga“ (Heroin) verfallen bin. Ich habe aber noch nie mit ihnen gesprochen, war nur einige Male an ihrem Platz um ihn mir anzuschauen bzw. in der Nähe um den Inhalt meines mobilen Klos zu entleeren. So können die banalsten Alltagsangegelegenheiten den Forschungsprozess beeinflussen, viele würden sagen „stören“, ich versuche es aber als wertvolles Datum zu verwerten, auch wenn es für mich persönlich und für meine Rolle als CCG-Mitarbeiter natürlich ein Schock ist.
Es ist bereits zwölf, also zur Bar von Janko, ich habe mit ihm vereinbart dass wir gemeinsam eine Flamencoversion von „Zum Geburtstag viel Glück“ für meine Schwester aufnehmen. Ich helfe beim Tragen von Lebensmitteleinkäufen für die Bar. Die Aufnahme kommt aus verschiedenen Gründen nicht zu stande, es läuft wieder mal alles ganz anders wie geplant. Janko meint dass ich mich vor dieser Gitano-Organisation in Acht nehmen sollte, er habe dort jahrelang gearbeitet, sie seien die „Taliban“ unter den Gitanos.
Gut, ich verabschiede mich für eine Stunde, probieren wirs später nochmal, ich gehe inzwischen zurück zum CCG, um Tagebuch zu schreiben, weil mein Kopf aufgrund aufgestauter, noch nicht niedergeschriebener Erinnerungen und Informationen immer schwerer wird, höre aber wie Sara und die Sozialarbeiterin des CCG u.a. über meine Klasse reden und bringe mich ein, es geht um einen schwierigen Schüler.
15.30: Zurück zur Bar, nur Janko und seine Frau sind da. Seine Frau fragt mich, wen aus dem Viertel ich am verrücktesten halte, ich finde keine richtige Antwort, später dann sage ich: ich selbst bin es, ja genau, ich selbst, Janko nickt zustimmend: So ist es, ich auch. Gespräch über Gitanoleben früher, ihre Eltern noch Nomaden, Leben noch schwieriger gewesen (Franquismo), Zusammenhalt, Leben heute auf andere Weise schwierig oder bedroht , durch Kaptialismus /Konsumismus, etc. Aufnahme auf Abend verschoben, wenn mehr Leute in die Bar kommen.
16.30: Fantastische und dringend nötige Gulaschsuppe mit Erdäpfel, Rindfleisch und Gemüse in Mirandas Bar. Mir wird dann aber doch kurz schlecht als auch sie mich auf die Drogengeschichte anspricht, mir beteuernd dass sie mich verteidigt hätte. Auch sie will mir den Schwarzen Peter aber nicht ausliefern. Ich sehe schon das ganze Viertel mich fallenlassen, als Unberührbaren, halte mich aber weiterhin an meinem „wertvolle Daten“ – und „Distanz zum Feld einnehmen“ – Gedanken fest.
17.30: Ich sehe Kiko (s. Legende) auf der anderen Straßenseite auf einer Bank sitzen, mit einer Gans. Er ist gerade zurück aus einer anderen Stadt, wo er sie gekauft hat um sie selbst zu schlachten. Wie mittlerweile jeden Tag setze ich mich zu ihm und wir reden, diesmal hauptsächlich über die Gans und was mit ihr passieren wird, etc. Um 19 Uhr wird er ihr an dieser selbigen Bank, im öffentlichen Raum also, die Kehle durchschneiden. Ich frage ihn ob ich das dokumentieren darf, „natürlich, bitteschön“, ich verabschiede mich für eine kleine Siesta im Bus, brauche unbedingt Ruhe um zu verarbeiten und wieder aufnahmefähig zu werden.
Es dauert dann bis 8 bis es soweit ist. Das Messer ist sehr schlecht und das Ganze deshalb noch grausamer als es sein müsste.

Ich bleibe noch eine Stunde sitzen weil ich die Gesprächssituation interessant finde, direkt nach so einer Schlachtung, die erste seit 9 Jahren für ihn. Es geht um die Kurse im CCG, seine Schwiegertöchter, seinen Lebensfrust, seine „Gitano-Psychologie“, und dann auch meine, er beweist sehr gute Menschenkenntnis, sieht in mich hinein. Er gibt mir den Rat, unnötige Infos und das Schlechte das mir widerfährt und meine Sorge um meinen Ruf zu vergessen, damit ich meinen Kopf freibekomme etc, wow, beeindruckend und wunderbar, aber gleichzeitig schreit eine innere Stimme : Heimgehn Heingehn! Ruhen! Schreiben! Verarbeiten! Aber ich ignoriere sie, mit dem Ergebnis dass ich erst jetzt ruhe und schreibe, aus meinem Rythmus, es bleibt keine Zeit mehr die vier oder fünf anderen wichtigen Konversationen der letzten zwei Tage aufzuschreiben , es bleibt keine Zeit die morgige E-Klasse vorzubereiten, es bleibt keine Zeit mir besagte Gitano-Organisation anzuschaun, usw., alles auf morgen verschieben, d.h. der Wahnsinn wird morgen unvermindert weitergehen. Samstag ist dann schon die erwähnte Veranstaltung, eine Woche darauf dann hier in La Mina das Flamencofestival des CCG, dessen wichtigste Veranstaltung des Jahres. Es ist kein Ende der Intensität der Arbeit absehbar.
Das Schlimme an der Überbelastung im Forschungsprozess ist neben den körperlichen Grenzempfindungen vor allem die Tatsache, dass ich für die Erfahrungen im Feld, v.a. die Gespräche, abstumpfe, weil ich die viele Information nicht verarbeiten und filtern kann. Es ist Zeit für Rückzug, und die einzige Sache wo ich Einsparpotential sehe ist die spontane Felderfahrung und das Mich-Einlassen auf die Alltagsgespräche in der Straße, jenes „Zusätzliche“ neben meinen unbedingten sozialen, praktischen und wissenschaftlichen Verpflichtungen, jenes Zusätzliche das gleichzeitig der Kern meiner Arbeit hier ist, muss glaube ich zwischendurch und temporär weichen.
*) Ich habe mir vor drei Wochen bereits ein Wohnmobil gekauft, um der Straße näher zu sein, flexibler zu sein, usw. – zum „Forschen aus der Straßenperspektive“ werde ich später einen Eintrag schreiben.